Interview: „Wir müssen die Lehrkräfte stärker unterstützen“
Das Leistungsniveau an den deutschen Schulen sinkt, die Bildungsungleichheit nimmt zu. Woran das liegt und wie sich das Bildungssystem wieder stärken lässt, erklärt Axel Plünnecke, Leiter des Clusters Bildung, Innovation, Migration im IW.
- Um zugewanderte Kinder aus bildungsfernen Haushalten besser zu fördern, plädiert IW-Experte Axel Plünnecke darauf, bereits in der Kita bei der Sprachentwicklung anzusetzen – zum Beispiel mit verbindlichen Sprachstandserhebungen und -fördermaßnahmen.
- In den Schulen geht es dann darum, die Lehrkräfte stärker zu unterstützen, sodass diese mehr Zeit für die individuelle Förderung der Schüler haben.
- Um die Lernzuwächse zu dokumentieren und entsprechende Handlungen daraus abzuleiten, braucht es zudem verbindliche Vergleichsarbeiten, so Plünnecke.
Warum haben sich die Leistungen der Schüler in Deutschland in den vergangenen Jahren derart verschlechtert?
Zum einen hat sich die Zusammensetzung der Schülerschaft verändert. Wir haben immer mehr Kinder aus bildungsfernen Haushalten, also mit Eltern, die selbst keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. Oft haben diese Kinder zudem einen Migrationshintergrund und sprechen zu Hause nicht unbedingt Deutsch, was es ihnen erschwert, in der Schule dem Unterricht zu folgen oder zum Beispiel Textaufgaben zu verstehen.
Deutschland braucht Zuwanderung – das steht aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels außer Frage. Wir müssen das Bildungssystem insgesamt stärken, um zugewanderte Kinder aus bildungsfernen Haushalten besser zu fördern.
Wie kann das funktionieren?
Am besten fängt das schon in der Kita an, besonders wichtig ist dabei die Sprachentwicklung. Um den Kindern dabei gezielt helfen zu können, wären verbindliche Sprachstandserhebungen und -fördermaßnahmen sinnvoll – natürlich spielerisch umgesetzt. Das ist zum Beispiel in Hamburg schon Praxis. Ein Problem dabei ist, dass die Kita-Besuchsquote von Kindern mit Migrationshintergrund im Alter zwischen drei und sechs Jahren mittlerweile auf unter 80 Prozent gesunken ist. Wir müssen also auch stärker für Kitas werben. Und natürlich dort, wo Kitaplätze nach wie vor knapp sind, das Angebot ausbauen.
Und in den Schulen?
In den Kindergärten wird der Grundstein gelegt, auf dem man in den Schulen aufbauen muss. Um dort die Kinder individuell zu fördern, müssen wir vor allem die Lehrkräfte stärker unterstützen. Das geht durch den Aufbau von multiprofessionellen Teams mit Fachkräften in Bereichen wie Schulpsychologie, Schulsozialarbeit, Integration, aber auch IT. Solche Teams könnten die Lehrkräfte entlasten, sodass diese mehr Zeit für die individuelle Förderung der Schüler haben. Das Startchancenprogramm kann hier helfen und sollte ausgeweitet werden.
Wir müssen das Bildungssystem insgesamt stärken, um zugewanderte Kinder aus bildungsfernen Haushalten besser zu fördern.
Ein weiterer Ansatzpunkt: verbindliche Vergleichsarbeiten. Wenn jede Schule mindestens zwei Vergleichsarbeiten im Abstand von ein paar Jahren schreiben lässt, kann man individuell ermitteln, wie sich die Kompetenzen der Schüler entwickelt haben. So lassen sich Leuchtturmschulen identifizieren, in denen es besonders gute Lernzuwächse gibt. Dann kann man prüfen, was sich andere Schulen davon abschauen können.
Wir müssen in Deutschland also insgesamt die Datenlage ausbauen und dann entsprechende Handlungen daraus ableiten.
Hilft dabei die Digitalisierung?
Das hängt vom Einsatz ab. Auf der einen Seite sehen wir in den PISA-Daten, dass Kinder, die mehrere Stunden ihrer täglichen Freizeit mit Social Media verbringen, im Schnitt schlechter abschneiden. Das, was ich morgens im Unterricht lerne, muss sich schließlich noch im Kopf verfestigen und verarbeitet werden. Wenn ich dann durch die permanente Nutzung des Smartphones ständig neue Impulse habe, erschwert das diesen Prozess. So geht auch ein Stück weit die Konzentrationsfähigkeit der Kinder verloren.
Auf der anderen Seite bietet die Digitalisierung durch moderne, innovative Lehrmittel eine große Chance, Kinder zum Lernen zu motivieren. Mit entsprechenden Sharing-Plattformen müsste sich zudem nicht jede Lehrkraft eigenes Material zu einem Thema überlegen und aufwendig vorbereiten. Meine Hoffnung wäre, dass so eine große Auswahl an hochwertigen Lernangeboten verfügbar wird, von der Schulen deutschlandweit profitieren können.