Interview: „Wir brauchen mehr Risikobereitschaft“
Digitalisierung, Dekarbonisierung, demografischer Wandel, Deglobalisierung – die Transformation fordert deutsche Unternehmen auf mehreren Ebenen heraus. Vera Demary, Leiterin des Clusters Digitalisierung und Klimawandel im Institut der deutschen Wirtschaft, erklärt im iwd-Interview, wie weit die Betriebe schon sind, welche Rolle die richtige Einstellung spielt und was die Politik tun sollte.
- Für eine gelungene Transformation müssen die Unternehmen in Deutschland innovativ sein und dafür Risiken eingehen, sagt Vera Demary, Leiterin des Clusters Digitalisierung und Klimawandel im Institut der deutschen Wirtschaft.
- Die Politik müsse ihrerseits ein Umfeld schaffen, in dem die Unternehmen vernünftig arbeiten können.
- Die Regierungsparteien haben laut Demary völlig aus dem Blick verloren, dass Ziele allein nicht reichen, sondern dass es auch einen geplanten Weg dahin braucht.
Mammutaufgabe Transformation – womit haben die deutschen Unternehmen Ihrer Meinung nach am meisten zu kämpfen?
Das größte Problem ist, dass es so viele Herausforderungen auf einmal gibt. Man muss alle Themen bearbeiten, ohne zu wissen, wie man sie richtig priorisiert. Gleichzeitig müssen die Unternehmen in großem Umfang in die Transformation investieren. Dabei besteht immer die Gefahr, dass der angestrebte Wandel im Alltagsgeschäft untergeht.
Außerdem finde ich es bedenklich, dass laut unserer aktuellen Studie immer noch so viele Geschäftsführer denken, ihre Firma habe nichts mit Digitalisierung und Dekarbonisierung zu tun. Das ist schwer nachvollziehbar. Selbst das Büdchen an der Ecke muss sich überlegen, wo der Strom herkommt oder wie es die digitale Kasse einführt. Diese Einstellung muss sich dringend ändern.
Was läuft auf der anderen Seite bereits überraschend gut in den Firmen?
Es gibt in jedem Bereich Unternehmen, die schon recht weit sind und großartige Dinge tun. Sie haben passende Strategien, um Fachkräfte zu sichern, oder sie haben ihre Produktionsanlagen weitgehend digitalisiert. Bei allen vier D hat sich in den vergangenen Jahren auch politisch schon viel getan.
Es gibt aber weiterhin viele Unternehmen, die noch am Anfang ihres Prozesses stehen. Man muss dabei anerkennen: Die Transformation ist eine riesengroße Aufgabe für Deutschland, von daher können wir gar nicht überall bereits sehr weit sein.
Wir haben als deutsche Wirtschaft sehr lange von den Innovationen gelebt, die wir in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen haben.
In welchem Wirtschaftszweig sind die Aufgaben aktuell am größten?
Ich glaube, der Unterschied liegt nicht in den verschiedenen Zweigen der Wirtschaft, sondern eher in den vorhandenen Möglichkeiten. Ein Beispiel: Es ist etwas völlig anderes, ob ich als Maschinenbauunternehmen statt der Maschinen eine digitalgestützte Dienstleistung wie die Produktion einer bestimmten Menge Verpackungen mit der Maschine am Standort des Kunden verkaufe oder ob ich ein Chemieunternehmen bin, das sein Produkt möglicherweise gar nicht digitalisieren kann. Nicht überall sind somit die Ziele der Digitalisierung identisch.
Bei der Dekarbonisierung haben wir zwar überall das Ziel, klimafreundlich zu werden. Die Herausforderungen und vor allem die Kosten sind aber in den energieintensiven Branchen viel höher als in anderen Sektoren.
Die Befragten in Ihrer Studie mahnen auch eine andere Haltung gegenüber Veränderungen in Unternehmen an. Sind wir in Deutschland überhaupt bereit für einen Wandel?
Ich sage ganz klar: Wir brauchen mehr Risikobereitschaft! Damit die Firmen die nötigen Innovationen generieren, um all die Herausforderungen zu meistern, müssen sie Risiken eingehen. Das ist schon immer so gewesen.
Wir haben als deutsche Wirtschaft sehr lange von den Innovationen gelebt, die wir in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen haben. Jetzt brauchen wir einen neuen großen Schub in die richtige Richtung. Das bedeutet auch: Wir benötigen in den Unternehmen Menschen, die bereit sind, etwas auszuprobieren, auch wenn es vielleicht schiefgeht. Dabei ist es ganz wichtig, dass das Management vorangeht und das ganze Unternehmen auf die Transformation einstimmt.
Gibt es Faktoren, die diese Risikobereitschaft in Unternehmen begünstigen?
Es braucht eine gewisse Kultur, die Freiräume für neue Ideen schafft; eine Kultur, die den Personen, die sich einbringen möchten – und ich denke, das sind viele – die Möglichkeiten dafür gibt. Und es braucht eine gewisse Fehlertoleranz. Wenn ich etwas Großes verändern will, ist es normal, dass nicht alles sofort klappt.
Spielt die Altersstruktur in den Firmen dafür eine Rolle?
Ich glaube, es ist ein Fehler zu sagen, dass die Transformation in Unternehmen mit überwiegend jungen Leuten leichter ist. In altersgemischten Teams – dazu gibt es sehr viel Forschung – lassen sich oftmals die besten Ergebnisse erzielen. Das liegt unter anderem daran, dass die Jüngeren von der Erfahrung der Älteren, die bestimmte Dinge bereits ausprobiert haben, profitieren.
Die politische Unsicherheit ist Gift für die dringend benötigten Investitionsentscheidungen.
Welche Unterstützung kann die Politik generell den Unternehmen geben?
Das Problem ist, dass in der Regierung Chaos herrscht. Es gibt keine Einigkeit darüber, wie man vorgehen will. Es ist klar, dass Investitionen hermüssen. Gleichzeitig sollten keine zusätzlichen Belastungen entstehen. Der wichtigste Schritt wäre, sich auf ein Programm zu einigen, das dann auch umgesetzt wird.
Grundsätzlich brauchen wir ein Umfeld, in dem Unternehmen vernünftig arbeiten können. Wir müssen zusehen, dass aus dem Bildungssystem genug junge Menschen mit einem Abschluss nachkommen, die ihre Ausbildung oder ein Studium absolvieren. Wir müssen schauen, dass die Bedingungen für qualifizierte Zuwanderer so sind, dass diese Menschen gerne hierherkommen und vor allem auch bleiben möchten. Wir müssen es schaffen, dass die Unternehmen nicht so viele Auflagen zu erfüllen haben, die sich teilweise widersprechen. Aktuell sind die Betriebe ganz oft gezwungen, Ermessensentscheidungen zu treffen. Die politische Unsicherheit ist Gift für die dringend benötigten Investitionsentscheidungen.
Darüber hinaus müssen die Unternehmen immer noch viele Unterlagen in Papierform bei Behörden und Staat abgeben. Digitale Prozesse können hier unglaublich viel bewegen.
Sie fordern in Ihrer Studie eine umfassende Strategie für die Transformation. Wie kann man diese komplexe Thematik am besten angehen?
Schauen wir zuerst in die Unternehmen. Jedes muss sich fragen: Wie stark sind die Herausforderungen, die auf mich zukommen? Und wie kann ich sie priorisieren? Es ist die ur-unternehmerische Aufgabe, mit Herausforderungen umzugehen. Von daher sollte es – bei aller Komplexität der Transformation – grundsätzlich machbar sein, diese Fragen zu beantworten.
Dann ist es sinnvoll, dass sowohl die unternehmerischen Prioritäten als auch die Probleme und Hemmnisse an die Politik kommuniziert werden. Die Politik muss einfach mal zuhören. Und sie muss sich ihrerseits darüber klar werden: Was wollen wir? Und wo liegen unsere Prioritäten? Denn man kann nicht alles gleichzeitig haben, allein aus finanziellen Gründen.
Bezogen auf die aktuelle Regierung wäre Einigkeit wichtig, um überhaupt eine Strategie entwickeln zu können. Denn wir haben zwar festgelegte Ziele wie etwa beim Klimaschutz. Aber es ist völlig aus dem Blick geraten, dass das nicht reicht, sondern dass es auch einen geplanten Weg dahin braucht.
Die vier D hat das IW schon vor einigen Jahren identifiziert. Gibt es denn seitdem auch positive Entwicklungen?
Es hat sich viel beim Thema qualifizierte Zuwanderung getan, zum Beispiel hinsichtlich der Gesetzgebung und der Zahl der ausländischen Fachkräfte. Auch der Breitbandausbau schreitet gut voran.
Viele Unternehmen gehen schon ihren Weg in eine erfolgreiche Transformation. Wir haben bereits Schritte gemacht, es liegen aber noch große Aufgaben vor uns.