Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Infrastruktur Lesezeit 5 Min.

Interview: „Ohne Reformen wird das Sondervermögen wenig bewirken“

Nur mit Geld ist es nicht getan, wenn die geplante Investitionsoffensive der Bundesregierung tatsächlich in eine umfassenden Modernisierung der Infrastruktur münden soll, sagt Alexander Burstedde, Senior Economist für Qualifizierung und Fachkräftesicherung im Institut der deutschen Wirtschaft. Was geschehen muss, damit das Sondervermögen seine gewünschte Wirkung entfaltet, erklärt er im Interview.

Kernaussagen in Kürze:
  • Nur mit Geld ist es nicht getan, wenn die geplante Investitionsoffensive der Bundesregierung tatsächlich in eine umfassenden Modernisierung der Infrastruktur münden soll, sagt IW-Experte Alexander Burstedde.
  • Vier Punkte seien entscheidend: die strukturelle Stärkung der Kommunen, ein planbarer und an Kapazitäten orientierter Investitionspfad, das gezielte Anwerben von Tiefbau-Fachkräften aus dem Ausland sowie das radikale Vereinfachen von Vergabeverfahren und Bauvorschriften.
  • Mit dem Sondervermögen könne Deutschland einen großen Schritt nach vorne machen – der Erfolg hänge aber stark davon ab, ob die Regierung die Probleme entschlossen angeht.
Zur detaillierten Fassung

Reichen 500 Milliarden Euro, um den Investitionsrückstand in Deutschland aufzuholen?

Grundsätzlich ja. Das Problem liegt in der Aufteilung des Geldes. Der Bund, dem 60 Prozent der Mittel zustehen, kann seinen Investitionsrückstand aus rein finanzieller Sicht damit mehr als aufholen. Doch ein Großteil des Investitionsbedarfs liegt bei den Kommunen, die zum Beispiel die Sanierung der zahlreichen maroden Schulen und bröckelnden Straßen bezahlen müssen.

Sie erhalten aber nur einen geringen Teil des Sondervermögens: Von den 500 Milliarden Euro geht ein Fünftel an die Bundesländer, die laut aktuellen Verhandlungen wohl etwa 60 bis 65 Prozent davon an ihre Kommunen weitergeben. Insgesamt landen so nur rund 12 Prozent des Sondervermögens da, wo es am dringendsten gebraucht wird.

Der Bund muss die Kommunen dringend strukturell stärken.

Deswegen sehe ich aktuell eine Diskrepanz zwischen der öffentlichen Erwartungshaltung, dass wir in Deutschland bald wieder eine hervorragende Infrastruktur haben, und der Realität. Denn mit dem, was in den Kommunen an Geld aus dem Sondervermögen ankommt, können diese ihre infrastrukturellen Probleme nicht lösen. Sie sind strukturell unterfinanziert und ihre Finanzlage wird in den kommenden Jahren eher noch schlechter. Das Sondervermögen wird so lediglich dafür sorgen, dass die zukünftigen finanziell nötigen Kürzungen im Infrastrukturbereich geringer ausfallen.

Wie kann es auf kommunaler Ebene denn wieder bergauf gehen?

Damit wir wirklich vorankommen, muss der Bund die Kommunen dringend strukturell stärken. Das Konnexitätsprinzip – also der Grundsatz „wer bestellt, der bezahlt“ – wird seit Jahren missachtet, zum Beispiel wenn ein Bundesland seine Kitas beitragsfrei macht, aber seinen Kommunen die dadurch entstehenden Einnahmeausfälle nicht vollständig und dauerhaft ersetzt.

Die Kommunen brauchen zwingend mehr Gestaltungsmacht über ihre Einnahmen und Ausgaben, insbesondere bei schwacher Wirtschaftslage können sie diese nicht ausreichend anpassen. Die größte finanzielle Belastung sind die steigenden Sozialausgaben. Ohne entsprechende Reformen wird das Sondervermögen weder kurz- noch langfristig seine gewünschte Wirkung entfalten.

Auf Bundesebene soll das Sondervermögen möglichst schnell eingesetzt werden, aber es fehlen entsprechende Arbeitskräfte. Brauchen die Unternehmen mehr Vorlauf?

Das Sondervermögen ist auf zwölf Jahre angelegt – im Schnitt stehen also rund 41,7 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung. Die Regierung will bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2029 aber jedes Jahr knapp 60 Milliarden Euro ausgeben. Das wird nicht funktionieren – es fehlen kurzfristig schlicht zu viele Fachkräfte, um die Mittel sinnvoll zu verarbeiten.

Statt die Investitionen am Anfang hochzufahren, sollte die Regierung sie langsamer erhöhen und mehr Planungssicherheit über Legislaturperioden und Koalitionen hinaus schaffen. Die Investitionsplanung sollte von einer breiten politischen Mehrheit, die über die aktuelle Regierungsmehrheit hinausgeht, getragen werden.

Man muss die Bauvorschriften und Vergabeverfahren radikal vereinfachen.

Der Fachkräftemangel bleibt jedoch in jedem Fall ein sehr großes Hindernis. Bauingenieure, Tiefbau-Fachkräfte und andere Spezialisten fehlen bereits heute, noch bevor ein Euro aus dem Sondervermögen abgeflossen ist. Ausbildungszeiten von drei bis fünf Jahren verhindern kurzfristige Entlastungen, und der demografische Wandel verschärft die Lage.

Was ist mit Arbeitskräften aus dem Ausland?

Zumindest im Tiefbau ist es sinnvoll, gezielt Fachkräfte aus dem Ausland anzuwerben. In diesem Bereich geht es um den tatsächlichen Bau von Straßen, Brücken, Tunneln, Schienen und Leitungen – Arbeiten, die in weiten Teilen der Welt ähnlich sind und so weniger Einarbeitungszeit benötigen.

Bevor die Leute auf der Baustelle anpacken können, braucht es aber die Planung. Die Bauvorschriften und Gesetze sind allerdings in jedem Land anders, sodass Fachkräfte aus dem Ausland, die auf ihr jeweiliges Land spezialisiert sind, hier keine schnelle Abhilfe schaffen können.

Alexander Burstedde ist Senior Economist für Qualifizierung und Fachkräftesicherung im IW; Foto: IW Medien Was also tun, um auch in der Planung von Bauwerken voranzukommen?

Wenn wir für die Arbeit nicht mehr Personal bekommen können, muss das bestehende Personal produktiver werden. In diesem Fall heißt das: Man muss die Vorschriften radikal vereinfachen.

Ein Beispiel: Aktuell sind die Vergabeprozesse extrem bürokratisch und zersplittert, das Bauamt vergibt seine Aufträge kleinteilig an viele kleine Handwerksfirmen. Diese sogenannte losweise Vergabe verursacht einen riesigen Aufwand und belastet die Planungsämter enorm. Um mit den vorhandenen Kapazitäten mehr zu erreichen, muss die Politik die Verfahren vereinfachen. Dazu gehört, Aufträge öfter an Großunternehmen zu vergeben, die alle Bauleistungen aus einer Hand anbieten. Die mit der losweisen Vergabe bezweckte Mittelstandsförderung wird in den kommenden Jahren in vielen Fällen nicht nötig sein, da die Baukapazitäten durch die mit dem Sondervermögen enorm gestiegene Nachfrage auch ohne diese Regelung überall ausgelastet sein dürften. Darüber hinaus sollten ausländische Unternehmen in der Vergabe stärker berücksichtigt werden als bisher. Selbst bei staatlichen Großbauprojekten liegt ihr Anteil aktuell nur bei 3 Prozent.

Das ist ganz schön viel Reformbedarf ...

Insgesamt sind vier Punkte entscheidend, wenn das Sondervermögen wirken soll: die strukturelle Stärkung der Kommunen, ein planbarer und an Kapazitäten orientierter Investitionspfad, das gezielte Anwerben von Tiefbau-Fachkräften aus dem Ausland und das radikale Vereinfachen von Vergabeverfahren und Bauvorschriften.

Machen wir einen Sprung ins Jahr 2036 – sind Sie optimistisch, dass wir dann auf eine gelungene Investitionsoffensive zurückblicken?

Zunächst einmal: Wenn mehr saniert wird, gibt es mehr Baustellen. Die Lage, beispielsweise bei der Deutschen Bahn, wird also tendenziell erst einmal noch schlimmer. Da müssen Politik und Gesellschaft jetzt durch. Aber ich denke, wir werden mit dem Sondervermögen einen großen Schritt nach vorne machen – vor allem in der Schieneninfrastruktur, für die der Bund zuständig ist.

In anderen Bereichen hängt der Erfolg stark davon ab, ob die Regierung die Probleme bei Fachkräften und in den Kommunen entschlossen angeht. Andernfalls bleiben die Investitionen nur Zahlen auf Papier.

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