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Konjunkturforschung Lesezeit 5 Min.

Interview: „Mit dem Klima kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor hinzu“

Der Klimawandel hat weitreichende Folgen für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben. Warum Dürren, Hochwasser oder Starkregen auch zunehmend in der Konjunkturforschung eine Rolle spielen, erklärt Michael Grömling, Leiter der IW-Forschungsgruppe Makroökonomie und Konjunktur.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Klimawandel hat nicht nur langfristig ökonomische Folgen, sondern kann in Form von Extremwetterereignissen auch „die kurzfristige wirtschaftliche Gangart von Volkswirtschaften empfindlich treffen“, sagt Michael Grömling, Leiter der IW-Forschungsgruppe Makroökonomie und Konjunktur.
  • „Die Frage, die sich aufdrängt, ist, ob wir das Klima deshalb auch in der kurzen Frist in der Konjunkturforschung und in Konjunkturprognosen stärker mitberücksichtigen müssen.“
  • Derzeit sei es allerdings noch nicht möglich, extreme Wetterereignisse konkret in einer Konjunkturprognose auszuformulieren, so der Konjunkturforscher.
Zur detaillierten Fassung

Immer öfter legen extreme Hitze, Überschwemmungen oder andere besonders heftige klimatische Ereignisse das Wirtschaftsleben zumindest regional lahm. Ist es an der Zeit, das Klima als offiziellen Konjunkturindikator zu deklarieren?

Das Klima ist kein Konjunkturindikator, es beeinflusst aber die Konjunktur. Fragen des Klimawandels werden seit geraumer Zeit als eine strukturelle Veränderung analysiert, also als etwas, das langfristig wirtschaftliche Folgen hat.

Konjunkturforscher befassen sich heute viel intensiver mit Wetterprognosen und Jahreszeitvorhersagen – sie suchen Monate im Voraus nach Anhaltspunkten, wie der anstehende Sommer wird und welche potenziellen Beeinträchtigungen es geben könnte.

Die Frage, die sich jedoch zunehmend aufdrängt, ist, inwieweit Klimaereignisse, insbesondere Extremwetterereignisse, auch die kurzfristige wirtschaftliche Gangart von Volkswirtschaften empfindlich treffen können und ob wir das Klima deshalb auch in der kurzen Frist in der Konjunkturforschung und in Konjunkturprognosen stärker mitberücksichtigen müssen.

Gibt es Länder oder Institutionen, die diese Klimakomponente bereits so handhaben?

Ja, es gab beispielsweise in einer der Konjunkturprognosen der EU-Kommission vor ein paar Jahren ein kurzes Kapitel, in dem das Thema Konjunktureinflüsse durch Klimaereignisse thematisiert wurde. Viele Studien, die sich mit den Langfristfolgen des Klimawandels beschäftigen, geben eine Orientierung, inwieweit diese Transmissionskanäle auch kurzfristig zu berücksichtigen sind.

Michae Grömling ist Leiter der IW-Forschungsgruppe Makroökonomie und Konjunktur; Foto: IW Medienl

Können Sie ein Beispiel für kurzfristige Folgen von klimatischen Ereignissen auf die Konjunktur nennen?

Angenommen, in Deutschland gäbe es eine extreme Hitzewelle. Sie würde ganz unmittelbar das Arbeitsleben beeinträchtigen und damit eine konjunkturelle Spur hinterlassen: Beschäftigte, die im Freien arbeiten wie in der Bauwirtschaft, könnten nicht einfach weiter wie gewohnt Straßen oder Häuser fertigstellen, weil sie etwa mehr Pausen bräuchten. Pendler könnten nicht pünktlich oder sogar gar nicht ihre Arbeitsstätte erreichen, weil der ÖPNV und andere Verkehrsnetze gestört wären. Möglicherweise funktioniert auch die Energieversorgung bei einer extremen Hitzewelle nicht mehr einwandfrei und in der Industrie oder im Handwerk lässt sich ein Teil der Materialien bei sehr hohen Temperaturen nicht so verarbeiten, wie man das gewohnt ist.

Sie gehen davon aus, dass kurz- und mittelfristige Wettervorhersagen für Konjunkturforscher wichtiger werden. Welche Wetterprognosen und -daten sind denn für Ökonomen bei der Erstellung einer Konjunkturprognose von Bedeutung?

Es gibt beispielsweise Untersuchungen, die versuchen, die Bedeutung von El-Niño-Jahren für die Konjunktur auszuloten. Denn das sind offensichtlich Jahre, in denen etwa landwirtschaftliche Prozesse stärker gestört werden als in normalen Jahren. Auch bestimmte Extremwetterereignisse können in so einem Jahr stärker auftreten.

Aufgrund von Klimaeinschätzungen können Unternehmen anders disponieren

Konjunkturforscher befassen sich heute viel intensiver mit Wetterprognosen und Jahreszeitvorhersagen, indem sie Monate im Voraus versuchen, sich eine Orientierung darüber zu verschaffen, wie der anstehende Sommer wird und welche potenziellen Beeinträchtigungen es geben könnte. Denn mithilfe einer solchen Einschätzung können Unternehmen auch anders disponieren, indem sie sich möglicherweise stärker mit Rohstoffen und Ähnlichem bevorraten. Sie können auch mit Lieferverträgen vorsichtiger agieren, als sie das unter normalen Bedingungen machen würden.

Wettervorhersagen sind mit großen Unsicherheiten behaftet. Wie gehen Sie damit um?

Am Ende des Tages wird es immer wieder Überraschungseffekte geben. Niemand weiß endgültig, wo und wie heftig ein Starkregen runterkommt. Und wie verheerend das enden kann, haben wir ja im Juli 2021 bei der Flutkatastrophe an der Ahr gesehen. Man weiß zwar in einigen Fällen bereits vorher, dass sich da offensichtlich Tiefdruckgebiete aufbauen. Was man aber nicht weiß, ist, wo genau und wie stark es regnen wird und was dabei zerstört wird.

Würden Sie für eine Konjunkturprognose, die Klimaereignisse berücksichtigt, künftige Wetterereignisse in Deutschland oder weltweite Wettervorhersagen verwenden?

Da ich mich vor allem mit der deutschen Konjunktur beschäftige, wäre es eher die hiesige Wetterlage, wenngleich die deutsche Wirtschaft auch stark davon abhängt – beispielsweise über Zulieferungen –, was in anderen Ländern passiert. Man hat ja gesehen, wie empfindlich die deutsche Automobilproduktion 2023 durch das Unwetter in Slowenien getroffen wurde, weil die Lieferkette beeinträchtigt war. Insofern ist das Wetter anderswo tatsächlich etwas, was man mitdenken muss.

Aber noch mal: Extreme Wetterereignisse konkret in einer Konjunkturprognose auszuformulieren, ist derzeit nicht möglich. Dafür existieren einfach zu viele Unwägbarkeiten.

Wenn Konjunkturprognosen aufgrund erwarteter Klimaereignisse wie beispielsweise großer Dürreperioden dazu führen, dass sich Investoren und Konsumenten stark einschränken, die Dürre aber gar nicht eintritt, dann bleibt die wirtschaftliche Entwicklung hinter ihrem Potenzial zurück. Solch eine Konjunkturprognose würde also das Wirtschaftswachstum eines Landes behindern. Wie können Sie das vermeiden?

Dieses Problem ist vergleichbar mit der Art und Weise, wie uns derzeit das Zollthema umtreibt. Das ist aufgrund der erratischen Änderungen ähnlich unwägbar. Wenn bestimmte Handelskonflikte in eine Prognose eingearbeitet werden, dann lösen die auch etwas aus und ähnlich würde es sein, wenn man Wettererwartungen in einer Konjunkturprognose einarbeitet.

Im besten Fall würde eine Konjunkturprognose, die Klimaereignisse berücksichtigen kann, dazu führen, dass Unternehmen Strategien zur Klimaanpassung umsetzen – indem beispielsweise Chemiefirmen Flachboote ordern, mit denen dann die Beschiffung des Rheins auch bei Niedrigwasser möglich ist.

Wenn Klimadaten auch für die Konjunkturforschung wichtiger werden, sollten Ökonomen künftig enger mit Klimaforschern zusammenarbeiten?

Ja, das kann künftig wichtiger werden. Trotzdem wird es auch in Zukunft immer wieder Konjunkturprognosen geben, die bestimmte Ereignisse nicht im Blick haben können. So waren etwa mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine im Februar 2022 die für das Jahr 2022 sehr positiven Prognosen für die Katz. Und genauso wird es immer wieder Ereignisse geben, die uns rechts und links überholen. Mit extremen Klimaereignissen kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor für Konjunkturprognosen hinzu.

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