Interview: „Durch Strafzölle wird alles teurer“
Die Automobilindustrie ist von den Klimazielen und geopolitischen Entwicklungen besonders stark betroffen. Wie der Umbau zur Klimaneutralität gelingen kann und welche Auswirkungen Strafzölle auf chinesische E-Autos haben, erläutert Arndt G. Kirchhoff, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Kirchhoff-Gruppe, einem weltweit agierenden Automobilzulieferer mit Sitz in Iserlohn.
- „Wenn wir jetzt Handelsbarrieren unterstützen, verbauen wir im Grunde genommen den deutschen Weg des Wirtschaftens“, sagt Arndt G. Kirchhoff, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Kirchhoff-Gruppe, zu den geplanten Strafzöllen auf E-Autos aus China.
- „Wir sind ein kleines Land und unser Wohlstand beruht im Wesentlichen darauf, dass wir mit anderen Ländern handeln. Und wenn wir in Europa Barrieren aufbauen, dann werden die Handelspartner das auch tun“, so Kirchhoff.
- Er befürchtet, dass das Produkt am Ende für die Verbraucher durch Strafzölle teurer wird.
Eine stagnierende Wirtschaft, die Abkehr von der Globalisierung, gewaltige Kosten für den Umbau zur Klimaneutralität: Wie bewältigen Unternehmen in Deutschland all diese Herausforderungen?
Die größte Hürde ist, dass wir kein Wachstum haben. Wir kommen nicht vorwärts, wir treten auf der Stelle. Mit Nullwachstum ist es komplizierter, die Zukunft zu planen, schließlich muss man den Umbau zur Klimaneutralität ja finanzieren.
Wir müssen viel mehr Geld in die Bildung und die Infrastruktur stecken.
Hinzu kommt, dass wir schon seit Sommer 2018 keinerlei Produktivitätssteigerungen mehr verzeichnen. Damit fehlt uns das innere Wachstum, das Mittel freisetzt, um investieren zu können. Darüber hinaus haben wir die Frage der sonstigen wettbewerblichen Rahmenbedingungen: Das betrifft Steuern und Abgaben, den Zustand der Infrastruktur sowie all das, was außerdem noch neu gebaut werden muss. Kurz gesagt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind nicht ideal, um in Deutschland in die Zukunft zu investieren.
Sie sind als Automobilzulieferer von diesen Problemen besonders tangiert …
Nein, denn wir bewegen uns auf dem Weltmarkt. Und wenn Sie auf dem Weltmarkt agieren, lokalisieren Sie ihre Produkte, es wird also vor Ort produziert: in Südamerika, Nordamerika, Asien und natürlich auch in Europa. Wir entscheiden in jedem Einzelfall: Wo ist die Produktion aus Kundensicht und aus unserer Perspektive am besten aufgehoben? Und wenn wir feststellen: Das ist aber nicht gerade Deutschland, dann wird eben nicht hier investiert. Und Sie sehen das an allen Zahlen: Wir investieren nicht in Deutschland und das Ausland auch nicht.
Der BDI und auch das IW sprechen sich deshalb für milliardenschwere staatliche Investitionspakete in Deutschland aus, um etwa den Bildungssektor zu stärken und die Infrastruktur zu verbessern. Was halten Sie davon?
Wir müssen viel mehr Geld in die Bildung stecken, damit die Menschen in Deutschland – und damit meine ich sowohl junge als auch ältere Menschen – gewappnet sind, mit der Geschwindigkeit zurechtzukommen, in der sich die Welt verändert. Das Gleiche gilt für die Infrastruktur. Hier gibt es riesige Versäumnisse: Viele Straßen, Brücken und Bahntrassen sind 60, 70 Jahre alt und müssen jetzt komplett neu gebaut werden, weil sie in der Vergangenheit nicht entsprechend gepflegt wurden. Hinzu kommt die neue Infrastruktur, die aufgrund der Digitalisierung und Dekarbonisierung benötigt wird. Ich finde es richtig, dafür einen Sonderhaushalt zu schaffen, der 400 bis 600 Milliarden Euro bereitstellt, um diese Investitionen zeitnah zu tätigen, denn wenn wir diese riesigen Aufgaben mit normalen Investitionsmitteln bewerkstelligen, dauert das Jahrzehnte – und diese Zeit haben wir nicht.
Nachhaltige Energie, nachhaltige Produkte
Was macht die Kirchhoff-Gruppe, um klimaneutral zu werden?
In Europa beziehen wir für alle Werke zu 100 Prozent grünen Strom. Und in Europa haben wir auch schon Stahlhersteller, die begonnen haben, grünen Stahl zu produzieren. An einem dieser Unternehmen in Skandinavien haben wir uns sogar beteiligt.
Wir stehen zu den Klimazielen, doch wenn Sie einen globalen Markt bedienen, dann sind Sie auch in Regionen tätig, wo es täglich Stromabschaltungen gibt. Dort muss man seine Produktion danach ausrichten, ob es gerade Strom gibt oder nicht. In weiten Teilen Asiens und in vielen anderen Ländern brauche ich nicht davon zu träumen, die Transformation gestalten zu können – dort muss zunächst überhaupt die Stromversorgung gesichert sein.
Doch nicht nur die bei uns eingesetzte Energie ist möglichst nachhaltig, auch die Materialien. Unsere zugekauften Vorprodukte haben ein CO2-Label, wo es möglich ist.
Wie viel Prozent Ihrer Produkte entfallen bereits auf klimaneutrale Mobilität?
Das ist schwer zu beantworten. Wir haben noch Produkte, die in reine Verbrenner gehen, insbesondere außerhalb Europas, weil dort E-Mobilität noch keine Alternative ist. In China, den USA und Europa haben wir hybride Modelle, wo wir nicht genau wissen, wie viele davon letztlich rein elektrisch zugelassen werden und welche mit Verbrennern. Und wir haben Produkte für reine E-Mobilität. Unsere Teile können zudem oft mehrfach verwendet werden: Eine Karosserie oder ein Fahrwerk ist unabhängig von der Art des Antriebs, auch wenn es gewisse Unterschiede gibt.
In Europa produzieren wir schätzungsweise 25 Prozent für reine E-Autos, 35 Prozent für hybride Modelle und 40 Prozent für Verbrenner. In den USA gehen 10 Prozent unserer Produkte in E-Autos und 90 Prozent in Verbrenner. Für unsere chinesischen Kunden machen wir 100 Prozent für E-Autos.
Die Frage ist, wie wir klimaneutral Auto fahren. Das geht auch mit einem Verbrenner, indem man ihm CO₂-freien Kraftstoff gibt, der regenerativ erzeugt wurde.
Schon vor der Europawahl wurde darüber spekuliert, dass die neue EU-Kommission das Verbrenner-Aus wieder zurücknimmt. Ist das eine gute Idee?
Ich halte das für unklug, weil so ein Hin und Her die Verbraucher total verwirrt. Die Frage ist eigentlich eine ganz andere, nämlich die, wie wir klimaneutral Auto fahren. Das geht auch mit einem Verbrenner, indem man ihm CO2-freien Kraftstoff gibt, der regenerativ erzeugt wurde. Dann fährt auch ein Otto- oder Dieselmotor klimaneutral. Das elektrische Fahren, das zurzeit in Europa praktiziert wird, ist nicht CO2-frei, denn der dafür verwendete Strom ist zumeist nicht grün. Der Strom ist in Deutschland in guten Jahren zur Hälfte grün, in Europa insgesamt ist er nicht mal zur Hälfte grün. Wir haben weltweit 1,4 Milliarden Autos mit Verbrennermotoren, die werden nicht morgen weg sein. Wenn wir diese Autos mit regenerativen Kraftstoffen nutzen würden, hätte das den schnellsten und größten Umweltnutzen.
Wo soll dieser CO₂-freie Kraftstoff herkommen?
Die Mineralölindustrie wäre prädestiniert dafür, CO2-freie Fischer-Tropsch-Kraftstoffe herzustellen, denn die haben die Flächen dafür und die kennen auch die Prozesse. Wenn die Branche aber keinen Markt dafür sieht, weil die Politik nicht entscheidet, dass die Mobilität auch in diese Richtung gehen darf, dann werden die Mineralölunternehmen auch nicht in diese Technologie investieren.
Ein weiterer Vorteil dieser CO2-freien Kraftstoffe ist übrigens, dass sie an den vorhandenen Tankstellen getankt werden können, man braucht kein neues Stromnetz und keine neuen Ladestationen aufzubauen.
Die deutschen Verbraucher wünschen sich günstige E-Autos. Viele E-Autos aus China sind preisgünstig, doch weil man hier von Dumpingpreisen ausgeht, droht Brüssel Ausgleichszölle auf chinesische E-Autos an. Welche Konsequenzen hätte das für die EU?
Das ist insbesondere aus deutscher Sicht sehr schlecht, weil wir ein kleines Land sind und unser Wohlstand im Wesentlichen darauf beruht, dass wir mit anderen Ländern handeln. Wenn wir jetzt Handelsbarrieren unterstützen, verbauen wir im Grunde genommen den deutschen Weg des Wirtschaftens. Denn wenn wir in Europa Barrieren aufbauen, dann werden die Handelspartner das auch tun. Und am Ende wird das Produkt für die Verbraucher teurer.
Politiker in Berlin und Brüssel fordern die heimischen Unternehmen dazu auf, sich unabhängiger von China zu machen. Befolgt Ihr Unternehmen diesen Rat?
Na klar, das machen wir allerdings schon länger. Unser Unternehmen unterscheidet bei der Beurteilung von Risiken zwischen autokratischen und freien Staaten und immer dann, wenn wir morgen enteignet werden könnten, dann begrenzen wir unser Risiko. Zweitens achten wir beim Bezug unserer Vorprodukte darauf, dass die Materialien aus mindestens zwei Lieferquellen kommen, die überdies nicht auf einem Kontinent liegen sollen. Auch um den CO2-Fußabdruck möglichst klein zu halten, ist es sinnvoll, die Lieferkette so zu organisieren, dass die Produkte möglichst kurze Transportwege haben. Lange Transportwege sind überdies bei Stahl, einem unserer wichtigsten Werkstoffe, auch gar nicht rentabel aufgrund des hohen Gewichts. Wir haben deshalb noch nie Stahl in den USA oder Asien eingekauft und in Europa verarbeitet.
Unser Wohlstand beruht im Wesentlichen auf dem Handel mit anderen Ländern.
Wie viel Prozent Ihrer Vorprodukte bezieht Ihre Unternehmensgruppe denn aktuell aus China?
Wir kaufen 60 Prozent unserer Werkzeuge, das sind die Teile, mit denen wir Stahl und Aluminium umformen, in China – das ist der größte Posten. Vom Einkaufsvolumen her kaufen wir etwa 5 Prozent in China, unser Absatz in China beläuft sich auf 7 Prozent.
Seit Anfang 2023 gilt das deutsche Lieferkettengesetz. Wie hat sich dieses Gesetz bisher bei Ihnen ausgewirkt?
Als deutsches Unternehmen haben wir die Vorgaben in die Einkaufsrichtlinien eingearbeitet und an die Lieferanten weitergegeben. All unsere Lieferanten müssen diese Regelungen uns gegenüber erfüllen. Das Problem ist, dass das erstens nicht alle können und zweitens nicht alle wollen. Unsere taiwanesischen Lieferanten beispielsweise unterschreiben uns die neuen Einkaufsrichtlinien nicht. Das gilt auch für unsere kanadischen Lieferanten, die die deutsche Datenschutzgesetzgebung nicht akzeptieren möchten.
Übertriebene Regeln
Die Lieferkettenrichtlinie ist detailliert nach deutschen Standards formuliert, das findet man sonst nirgends auf der Welt. Die Regeln sind so übertrieben, dass, wenn man das wirklich ernst nimmt, keine Handelspartner mehr findet – außer in Europa, wo man im gleichen Rechtsraum ist.
Wie ist denn der Fall mit Ihrem taiwanesischen Zulieferer ausgegangen?
Das ist jetzt zwei, drei Monate her, dass wir unsere überarbeiteten Richtlinien in unserer Lieferantenwelt verteilt haben. Das Problem in Taiwan ist nicht gelöst. Und das wird sich so auch nicht lösen, einer muss nachgeben: Entweder muss der Zulieferer in Taiwan die neuen Regeln akzeptieren oder wir müssen aufhören, von ihm Waren zu beziehen.