Interview: „Die Berichterstattung hält uns davon ab, wichtige Dinge anzugehen“
Die EU verpflichtet schrittweise immer mehr Unternehmen zu einer detaillierten Nachhaltigkeitsberichterstattung. Friedemann Stock, Nachhaltigkeitsbeauftragter beim Industrieunternehmen Stihl, erklärt im iwd-Interview, wie sein Betrieb damit umgeht und warum die neue Vorgabe zu Problemen führen wird.
- Seit drei Jahren veröffentlicht die Firma Stihl einen umfangreichen Nachhaltigkeitsbericht, vor allem weil die Mitarbeiter das Thema sehr umtreibt, sagt Nachhaltigkeitsbeauftragter Friedemann Stock.
- Die von der EU nun festgelegte Pflicht der Berichterstattung zur Nachhaltigkeit sei völlig anders gelagert und halte sein Unternehmen ein Stück weit von dem Erreichen der eigenen Ziele in diesem Bereich ab.
- Besonders die extreme Detailliertheit kritisiert Stock. Diese könne im schlimmsten Fall für Unternehmen zum wirtschaftlichen Risiko werden.
Stihl bringt seit drei Jahren freiwillig einen umfangreichen Nachhaltigkeitsbericht heraus. Warum machen Sie sich so viel Arbeit?
Vor allem intern wollten viele wissen, wie Stihl zur Nachhaltigkeit steht. Zwar haben wir schon vorher über unsere interne Kommunikation Informationen dazu weitergegeben, doch das Interesse war und ist darüber hinaus da. 2021 wurde erstmals der Posten des Nachhaltigkeitsbeauftragten mit mir besetzt.
Wir haben dann im Team, wenn man so will, die Sachlage bei Stihl geordnet. Anschließend kam der Gedanke auf: Wir können mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem wir einen Nachhaltigkeitsbericht erstellen, den wir sowohl nach innen als auch nach außen kommunizieren können.
Der Nachhaltigkeitsbericht ist nur ein Baustein einer umfangreichen Nachhaltigkeitsstrategie Ihres Unternehmens. Was tut Stihl außerdem?
Der wichtigste Punkt beim Thema Nachhaltigkeit: Auch wenn man gern alle 17 globalen Nachhaltigkeitsziele gleichzeitig erfüllen möchte, muss man Prioritäten setzen. Diese Tatsache muss man akzeptieren. Für unsere Nachhaltigkeitsstrategie haben wir drei übergeordnete Punkte herausgearbeitet, unter denen wir unsere Aktivitäten bündeln: Ökosysteme, Kreisläufe und Sorgfalt – also zweimal eher technisch und einmal eher sozial orientiert. Das passt sehr gut zur Geschichte und zur Identität des Unternehmens.
Es gibt Graubereiche, die man aus Unternehmenssicht nicht eliminieren kann.
Haben Sie Rückmeldungen – von innen oder außen – zu Ihren Aktivitäten bekommen?
Wir erhalten sehr viel positives Feedback von unseren Mitarbeitenden. Und man merkt, wie das Thema die Menschen beschäftigt. Im Vergleich zu anderen Themen erreichen unsere Nachhaltigkeitsbeiträge immer hohe Klickzahlen. Ich werde auch häufig auf dem Flur oder in der Kantine auf Nachhaltigkeitsthemen angesprochen.
Außerhalb des Unternehmens war die Nachhaltigkeits-Community stets aufmerksam. Sie hat sich unsere Berichte sehr genau angesehen. Diese sind aufwendig gestaltet und umgesetzt: Der zuletzt erschienene hatte 83 Seiten. Dazu sehen sie sehr chic aus – das hat schon für positive Resonanz gesorgt.
Kann eine Firma, mit deren Produkten Wälder abgeholzt werden, überhaupt nachhaltig sein?
Diese Frage hören wir oft. Und diese Thematik ist nicht von der Hand zu weisen, wenn es zum Beispiel um den Regenwald geht. Zunächst will ich aber klar sagen: Wir finden die Vernichtung der Regenwälder sehr schlimm und unterstützen das in keiner Weise!
Dann muss man festhalten, dass die Hauptarten der Regenwaldabholzung das Brandroden und der Einsatz von schweren Maschinen sind. Aber natürlich kann man mit unseren Geräten auch Unfug machen. Um dem entgegenzuwirken, stellen wir ausführliche Trainings- und Einweisungsmaterialien bereit. Und in Regenwaldgebieten vertreiben wir unsere Produkte nur über geschulte Fachhändler. Wir tun, was in unserer Macht steht, um den Missbrauch unserer Geräte zu verhindern. Doch fest steht auch: Es gibt Graubereiche, die man aus Unternehmenssicht nicht eliminieren kann.
Ab 2026 muss Stihl Nachhaltigkeitsberichte gemäß der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU erstellen. Wie werden sich diese Berichte von den bisherigen Berichten, die Ihr Unternehmen publiziert, unterscheiden?
In meiner Vorstellung ist das etwas völlig anderes als unsere aktuellen Nachhaltigkeitsberichte. Wir sind mit der CSRD in einem Pflichtbereich mit klaren Vorgaben. Das Endprodukt wird der finanziellen Berichterstattung, wie wir sie im Bundesanzeiger veröffentlichen, ähneln. Wir werden darin das berichten, was wir müssen – natürlich korrekt und genau.
Unsere Nachhaltigkeitskommunikation im Sinne der Öffentlichkeitsarbeit werden wir aber sehr strikt von der CSRD-Berichterstattung trennen.
Können Sie abschätzen, was Sie die CSRD-Berichtspflicht jährlich kosten wird?
Die Pflicht ist sehr aufwendig. Grob geschätzt kostet sie uns etwa vier Stellen und einen sechsstelligen Eurobetrag pro Jahr zusätzlich. Die reine Datenerhebung ist nicht das große Problem, da haben wir schon viel Monitoring. Wir arbeiten gerade daran, ein gruppenweites System auszurollen, um die Energieverbräuche zu erfassen und uns in diesem Bereich weiter zu verbessern. Die Datensammlung für den CSRD-Bericht ist dann nur noch das „Sahnehäubchen“.
Was es für uns schwierig macht, ist die geforderte Vollständigkeit. Wir müssen überspitzt gesagt selbst im kleinsten Bürogebäude in einem Schwellenland Daten erheben. Das ist unfassbar viel Aufwand. Ich schätze, dass wir für die letzten 20 Prozent genauso lange brauchen wie für die ersten 80 Prozent.
Es ist absurd, dass ich in meiner Lieferkette alle Lieferanten in diesem Detailgrad abfrage.
Welche Schwierigkeiten sehen Sie noch in der CSRD-Nachhaltigkeitsberichterstattung?
Die rechtlichen Fragen sind schnell geklärt. Aber wir müssen in eine kontinuierliche Kommunikation mit unseren Prüfern gehen. Wir werden mit ihnen und unseren Beratern gemeinsam sprechen müssen, um unsere Interpretation der notwendigen Schritte abzusichern. Diese Kommunikation kostet uns dann natürlich wieder Geld.
Begeisterung über die CSRD hört man bei Ihnen nicht heraus.
Wir haben uns bei Stihl eine Nachhaltigkeitsstrategie mit Schwerpunkten erarbeitet und wissen, was wir tun wollen. Die CSRD drückt uns jetzt wieder in die Breite und hält uns davon ab, die wichtigen Dinge anzugehen. Wir werden versuchen, in der Wesentlichkeitsanalyse zurück zu unseren Prioritäten zu kommen, das muss der Wirtschaftsprüfer aber erst mal akzeptieren. Das ist alles ein wahnsinniger Aufwand.
Ein Beispiel: Wenn wir ein Thema in der Berichterstattung ausschließen wollen, müssen wir das begründen, es gibt eine Beweisumkehr. Wie soll ich aber nachweisen, dass etwas aus unserer Sicht nicht relevant ist?
Oder wenn wir auf die Lieferketten schauen: Wie soll ich denn für jeden einzelnen Lieferanten wissen, wie viel Wasser er nutzt? Es ist absurd, dass ich in meiner Lieferkette alle Lieferanten in diesem Detailgrad abfrage.
Ich habe nichts gegen Nachhaltigkeitsberichterstattung, im Gegenteil. Aber die CSRD kommt so schnell und umfassend, dass die Ausschläge sehr groß sein können. Wenn ich schlussendlich ein eingeschränktes Testat erhalte und dadurch Schwierigkeiten in meiner wirtschaftlichen Tätigkeit bekomme, ist damit ein großes Risiko verbunden. Deshalb sind wir alle ein bisschen nervös.