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des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Pharmaindustrie Lesezeit 3 Min.

Interview: „Der Fokus bei neuen Medikamenten liegt auf der Biopharmazie“

Die Arzneimittelversorgung in Deutschland ist stark von China abhängig. Wie sich daran etwas ändern ließe und womit Deutschland seine eigene Pharmaindustrie unterstützen kann, erklärt Jasmina Kirchhoff, Projektleiterin der Forschungsstelle Pharmastandort Deutschland im Institut der deutschen Wirtschaft.

Kernaussagen in Kürze:
  • Deutschland ist im Arzneimittelbereich abhängig von China. Die bestehende Produktion in der Bundesrepublik zu halten und Lieferketten zu diversifizieren, seien erste Schritte, um daran etwas zu ändern, sagt IW-Pharmaexpertin Jasmina Kirchhoff.
  • Um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren, müsse man auch die Innovationskraft stärken, so Kirchhoff. Dafür brauche es Investitionen am hiesigen Standort.
  • In der Medikamentenentwicklung sei in Zukunft der biopharmazeutische Bereich entscheidend. Dort hätten Deutschland und Europa eine gute Ausgangsposition, müssten aber die richtigen Impulse setzen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen.
Zur detaillierten Fassung

Deutschland ist bei Arzneimitteln abhängig von China. Wie groß ist die Gefahr, dass die Volksrepublik das ausnutzt?

Wir sehen, dass China durchaus bereit ist, Abhängigkeiten zu nutzen, um eigene Interessen durchzusetzen, etwa bei seltenen Erden oder in der aktuellen Chipkrise. Aber im Arzneimittelbereich so zu handeln, ist auch für China schwieriges Terrain. Menschen in anderen Ländern lebenswichtige Güter vorzuenthalten, um eigene Interessen durchzusetzen, wäre noch mal eine ganz andere Hausnummer. Die Reputationsschäden für China wären riesig. Das Risiko für ein solches Vorgehen Chinas halte ich aktuell für nicht sehr hoch.

Welche Maßnahmen sollten Deutschland und die EU als Erstes ergreifen, um das Abhängigkeitsverhältnis zu reduzieren?

Abhängigkeit und Lieferengpässe sind besonders für generische Arzneimittel hoch, also bei den Nachahmerprodukten von Medikamenten, deren Wirkstoff keinen Patentschutz mehr hat. Wir haben eine starke Arzneimittelproduktion in Deutschland und Europa, die vor allem auf innovative, hochtechnologische Produkte spezialisiert ist. Da jedes innovative Produkt aber irgendwann aus dem Patentschutz läuft, lautet die Frage, wie wir Rahmenbedingungen setzen, damit die Produkte danach weiterhin hier produziert werden. Ziel muss es sein, die Abwanderung bestehender Produktionskapazitäten zu verhindern.

Daneben braucht es Anreize, die die Diversifikation von Beschaffungsquellen fördern. Wenn Unternehmen mehrere Zulieferer für ihre benötigten Wirkstoffe oder Vorprodukte haben, sinkt das Risiko für Lieferengpässe und strategische Abhängigkeiten.

In Ihrem Gutachten schlagen Sie hierfür auch Kooperationen Deutschlands und der EU mit Drittländern vor. Wer würde sich dafür anbieten?

Wir haben jetzt keine Liste dafür in der Schublade. Klar ist, dass es auch eine regionale Diversifizierung der Zulieferer braucht. Andere Weltregionen hängen ähnlich wie wir von China ab. Sie könnten an strategischen Partnerschaften ein ebenso großes Interesse haben wie wir in Deutschland und der EU.

Eine starke Pharmaindustrie spielt nicht nur eine wichtige Rolle für die Versorgung in Deutschland. Aufgrund des demografischen Wandels brauchen wir gerade Branchen, die innovations- und wertschöpfungsstark sind.

Sehen Sie insgesamt schon positive Ansätze für die Pharmaindustrie?

Um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren, müssen wir auch unsere Innovationskraft stärken. In Deutschland passiert da schon einiges. Die nationale Pharmastrategie war ein guter erster Schritt, auch das Medizinforschungsgesetz. Mit der neuen Hightech-Agenda Deutschland sollen Forschung und Investitionen in Schlüsseltechnologien gestärkt werden. Eine davon ist die Biotechnologie, die für einen innovativen, wettbewerbsfähigen Pharmastandort zentral ist.

Jasmina Kirchhoff ist Projektleiterin der Forschungsstelle Pharmastandort Deutschland im Institut der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Was ist nötig, damit Deutschland hier mit den Konkurrenten aus den USA und China mithalten kann?

Zum Beispiel müssen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren schneller werden. Diese sind zum Teil auch anzupassen. Ein Beispiel: Der Erstattungspreis eines innovativen Arzneimittels wird über seinen Zusatznutzen bestimmt. Um den nachzuweisen, wird das neue Medikament mit einem schon eingesetzten Präparat verglichen. Dafür braucht es große Patientenpopulationen in den klinischen Studien. Für neue Zell- und Gentherapien zum Beispiel, die viel zielgerichteter eingesetzt werden können, ist die aktuelle Methodik in diesem Verfahren aber nicht mehr zeitgemäß. Die Patientenpopulationen sind hier häufig kleiner, zum Teil gibt es kein Vergleichsmedikament.

Grundsätzlich werden größere Investitionen nötig sein, um den Pharmastandort zu sichern …

Wir brauchen Investitionen an unserem Standort, um unsere Wirtschaft zu stärken und unseren Wohlstand zu sichern – und das sowohl staatlich als auch privat. Die pharmazeutische Industrie gehört nach wie vor zu den investitionsstärksten Branchen in Deutschland – vor allem in der Forschung und Entwicklung.

Eine starke Pharmaindustrie spielt also nicht nur eine wichtige Rolle für die Versorgung vor Ort. Aufgrund des demografischen Wandels brauchen wir gerade Branchen, die innovations- und wertschöpfungsstark sind. Diesen Unternehmen nicht die richtigen Rahmenbedingungen für ihre Forschung, Entwicklung und Produktion zu bieten, wäre nicht schlau.

Der Fokus bei neuen Medikamenten liegt bereits auf dem biopharmazeutischen Bereich. Da haben wir zwar grundsätzlich eine gute Ausgangsposition in Deutschland und Europa. Aber andere Länder schlafen nicht: Die USA sind traditionell stark, Asien holt bei Biopharmazeutika schnell auf. Deutschland muss deshalb die richtigen Impulse setzen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben – und so weitere strategische Abhängigkeiten zu vermeiden.

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