Indien: Europas Premiumpartner der Zukunft
Die EU unternimmt einen neuen Anlauf, um ein Freihandelsabkommen mit Indien zu schließen. Eine Einigung wäre ein großer Erfolg für Europa und könnte auch dem kränkelnden deutschen Exportmodell einen wichtigen Schub geben.
- Die EU unternimmt einen neuen Anlauf, um ein Freihandelsabkommen mit Indien zu schließen. Ein erfolgreicher Abschluss würde nicht nur einen großen Wachstumsmarkt eröffnen, sondern auch dabei helfen, den europäischen Handel zu diversifizieren.
- Bereits in den vergangenen Jahren ist die Rolle Indiens für die europäische Wirtschaft gewachsen. Dies gilt auch mit Blick auf Deutschland: Die deutschen Exporte nach Indien legten von 2019 bis 2024 um 42 Prozent zu.
- Ein Freihandelsabkommen könnte so dem schwächelnden deutschen Export neuen Schwung verleihen.
Nicht nach China, in die USA oder in einen der südamerikanischen Mercosur-Staaten – die erste Reise der 2024 neu gewählten EU-Kommission ging Ende Februar nach Indien. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, wie sehr die EU an engeren Beziehungen mit dem aufstrebenden Staat interessiert ist. Intention des Besuchs: eine neue strategische EU-Indien-Agenda aufsetzen und über ein Freihandelsabkommen verhandeln.
Bereits seit 2007 gab es immer wieder erfolglose Bestrebungen, ein solches Abkommen zu verabschieden. 2022 nahmen beide Seiten die Gespräche nach längerer Pause wieder auf und gründeten in diesem Zuge das EU-Indien Trade and Technology Council – ein Format, das die EU ansonsten nur noch mit den USA pflegt. Ziel ist eine engere Abstimmung in Handelsfragen und in der Technologieregulierung.
Ein indisch-europäisches Handelsabkommen böte eine große Chance, den wachsenden Handel mit dem südasiatischen Land noch stärker auszuweiten und so die Abhängigkeit von China zu reduzieren.
Allerdings erschwert die protektionistische Handelspolitik Indiens, das den heimischen Markt unter anderem durch hohe Importzölle schützt, den neuen Anlauf. Ein Hoffnungsschimmer: Die vier Staaten der europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) – Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz – haben 2024 erfolgreich ein Handelsabkommen mit Indien abgeschlossen. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass die EFTA-Staaten sich im Gegenzug zu einer Marktöffnung Indiens dazu verpflichtet haben, ihre Direktinvestitionen dort in den kommenden 15 Jahren um 100 Milliarden Dollar zu erhöhen – ein Modell, an dem sich die EU orientieren könnte.
Ein Freihandelsabkommen mit dem bevölkerungsreichsten Land der Welt würde nicht nur einen großen Wachstumsmarkt eröffnen, sondern auch dabei helfen, den europäischen Handel zu diversifizieren. Schließlich sucht die EU derzeit nach neuen Partnern, um ihre Abhängigkeit von China zu verringern.
Indische Rolle im Außenhandel wächst
Bereits in den vergangenen Jahren ist die Rolle Indiens für die europäische Wirtschaft gewachsen. Dies gilt auch mit Blick auf Deutschland. Zwar ist China – die Lieferungen dorthin machten im Jahr 2024 mit knapp 90 Milliarden Euro nahezu 6 Prozent aller deutschen Exporte aus – aktuell noch ein insgesamt weitaus größerer Abnehmer von Waren und Dienstleistungen als Indien, auf das mit rund 17 Milliarden Euro 1,1 Prozent der gesamten deutschen Ausfuhren entfielen. Der generelle Trend ist jedoch eindeutig (Grafik):
Während die deutschen Ausfuhren nach China von 2019 bis 2024 um rund 6 Prozent zurückgingen, legten die Exporte nach Indien im selben Zeitraum um 42 Prozent zu.
Besonders stark wuchsen in diesem Zeitraum mit einem Plus von fast 89 Prozent die Exporte von Kraftwagen und Kraftwagenteilen nach Indien. Jene ins Reich der Mitte sanken gleichzeitig um rund ein Fünftel. Selbst in Warengruppen wie Gummi und Kunststoff, in denen die Exporte nach China weiter zugelegt haben, war das prozentuale Wachstum der Ausfuhren nach Indien durchgehend deutlich höher.
Ein indisch-europäisches Handelsabkommen böte eine große Chance, den Handel mit dem südasiatischen Land noch stärker auszuweiten. Die EU sollte sich kompromissbereit zeigen und auf eine zügige Einigung hinarbeiten. Das wäre nicht nur ein Gewinn für Europa insgesamt, sondern könnte auch dem schwächelnden deutschen Export neuen Schwung verleihen.
Interview: „Die EU hat die Wichtigkeit eines Abkommens mit Indien erkannt“
Samina Sultan ist Senior Economist für europäische Wirtschaftspolitik und Außenhandel im Institut der deutschen Wirtschaft.
Wie realistisch ist es, dass sich die EU und Indien auf ein Freihandelsabkommen einigen?
Die EU hat die Wichtigkeit eines Abkommens mit Indien erkannt. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass sich die Verhandlungen über ein vollumfängliches Freihandelsabkommen noch etwas ziehen dürften. Vielleicht wäre es daher eine Möglichkeit, ein Abkommen zunächst auf bestimmte Sektoren zu begrenzen. Das wäre ein guter Ausgangspunkt, um dann nach und nach die Beziehungen zu vertiefen.
Was kann zu erfolgreichen Verhandlungen beitragen?
Kompromissbereitschaft von beiden Seiten. Zumal die Dringlichkeit eines Abkommens sowohl für die EU als auch für Indien zunimmt, wenn sich die USA unter Donald Trump weiter abschotten und China seine protektionistische Politik fortsetzt.
Wie entwickelt sich die indische Wirtschaft aktuell?
Das Land ist mit hohen Wachstumsraten aus der Coronapandemie gekommen, zuletzt hat sich die Kurve allerdings etwas abgeflacht. Indien ist mit seinen 28 Bundesstaaten ein sehr heterogenes Land und seine Wirtschaft deshalb komplex – so ist beispielsweise Goa an der Westküste gemessen an der Wirtschaftsleistung pro Kopf relativ wohlhabend, Uttar Pradesh im Norden noch recht arm. Langfristig sprechen aber viele Aspekte für eine positive Entwicklung – zum Beispiel die junge Bevölkerung und der riesige Absatzmarkt.