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Harter Wettbewerb um ausländische Fachkräfte

Arbeitskräfte aus dem Ausland leisten schon heute einen wesentlichen Beitrag zur Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Doch um dem demografischen Wandel und dem zunehmenden Fachkräftemangel zu begegnen, muss die Politik noch stärker die Zuwanderung von Menschen fördern, die die hierzulande benötigten Qualifikationen mitbringen.

Kernaussagen in Kürze:
  • Auf vielen Qualifikationsebenen und in vielen Berufen leisten Zuwanderer schon heute einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung.
  • Angesichts der demografischen Probleme muss die Bundesregierung aber noch stärker fördern – als Herkunftsländer kommen vor allem Indien, Indonesien und Bangladesch infrage.
  • Sinnvoll wären erleichterte Zuwanderungsregelungen für beruflich qualifizierte Fachkräfte. Außerdem muss Deutschland gezielt um Zuwanderer werben, wie es zum Beispiel schon über die Online-Plattform „Make it in Germany“ geschieht.
Zur detaillierten Fassung

15,9 Millionen – so viele im Ausland geborene Menschen lebten im Jahr 2019 in Deutschland. Damit stellten Zuwanderer zuletzt 19,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Allein 5,1 Millionen sind seit 2007 nach Deutschland gekommen.

Für ein Land wie Deutschland, das infolge gesunkener Geburtenzahlen und dem baldigen Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Erwerbsalter ein wachsendes Demografieproblem hat, sind die oft jungen Zuwanderer eine wertvolle Stütze. Eine Beispielrechnung:

Ohne die seit 2007 Zugewanderten hätten im Jahr 2017 in Deutschland je 100 Personen zwischen 60 und 69 Jahren nur 87,5 Personen im Alter von 20 bis 29 Jahren gegenübergestanden – tatsächlich waren es 99,5.

Letztlich geht es allerdings vor allem darum, inwieweit Zuwanderung der deutschen Wirtschaft helfen kann, mehr Fachkräfte zu gewinnen. Einige der in den vergangenen Jahren nach Deutschland eingewanderten Menschen, vor allem die Geflüchteten, tun sich nach wie vor schwer, auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen – etwa, weil sie in ihren Heimatländern nur wenige Jahre eine Schule besucht haben.

Dennoch: Viele im Ausland Geborene haben durchaus eine höhere Qualifikation vorzuweisen und können somit die Fachkräftebasis Deutschlands stärken (Grafik):

Von allen 25- bis 34-Jährigen, die im Jahr 2019 in Deutschland einen Hochschulabschluss hatten, waren 25 Prozent im Laufe ihres Lebens zugewandert.

Anteil der Zuwanderer an allen Personen mit dieser Qualifikation in Deutschland im Jahr 2019 in Prozent Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Im Bereich der beruflichen Bildung ist der Anteil mit 15 Prozent niedriger – nicht zuletzt, weil sich die Bildungssysteme international auf der mittleren Qualifikationsebene stark unterscheiden und es vielerorts keine Äquivalente zu den deutschen Ausbildungsabschlüssen gibt.

Für den Beitrag, den die Zuwanderer zur Fachkräftesicherung in Deutschland leisten können, ist es auch relevant, in welchem Bereich sie ihre Ausbildung absolviert haben. Schließlich sind die derzeitigen – und die künftig zu erwartenden – Fachkräfteengpässe im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) besonders groß. Tatsächlich machen die Zuwanderer auf diesen Themenfeldern schon heute einen beachtlichen Teil der hiesigen Fachkräftebasis aus (Grafik):

Im Jahr 2019 stellten Zugewanderte fast ein Viertel aller Akademiker in Deutschland, die einen Abschluss in Mathematik, Informatik oder den Naturwissenschaften hatten. Im Bereich Technik betrug der Anteil gut ein Fünftel.

So viel Prozent aller 25- bis 64-jährigen Akademiker mit dieser Fachrichtung, die im Jahr 2019 in Deutschland lebten, waren zugewandert Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Entscheidend ist am Ende allerdings, ob die von den Zuwanderern mitgebrachten oder hier erworbenen Qualifikationen am Arbeitsmarkt zum Tragen kommen. Insgesamt lag der Anteil der bis 2018 Zugewanderten an allen Erwerbstätigen 2019 bei 18,5 Prozent und war damit kaum niedriger als ihr Bevölkerungsanteil. Von den Erwerbstätigen mit Hochschulabschluss waren 18,1 Prozent aus dem Ausland zugezogen, bei jenen mit einer beruflichen Qualifikation betrug der Anteil 13,2 Prozent.

In den einzelnen Berufsgruppen sind die im Ausland geborenen Erwerbstätigen unterschiedlich stark vertreten (Grafik):

Am höchsten war der Anteil der Zuwanderer an allen Erwerbstätigen im Jahr 2019 mit gut 51 Prozent in den Reinigungsberufen.

So viel Prozent aller Erwerbstätigen bzw. der Experten und Spezialisten in diesen Berufsgruppen in Deutschland im Jahr 2019 waren zugewandert Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Überdurchschnittlich viele ausländische Arbeitskräfte gab es zuletzt auch im Gastgewerbe sowie in Verkehrs- und Logistikberufen.

Es liegt nahe, dass in diesen Berufsgruppen vor allem Zugewanderte mit niedriger oder mittlerer Qualifikation zu finden sind – jedenfalls ist der Anteil der Zuwanderer an den akademisch ausgebildeten Experten oder den Spezialisten mit einer Meister- oder Technikerfortbildung in den genannten Berufsgruppen deutlich niedriger.

In den IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen waren zuletzt fast 18 Prozent aller erwerbstätigen Experten und Spezialisten aus dem Ausland zugewandert.

Schaut man jedoch auf jene Berufe, in denen Fachkräfte in Deutschland händeringend gesucht werden, sieht das Bild deutlich anders aus:

In den IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen waren zuletzt fast 18 Prozent aller erwerbstätigen Experten und Spezialisten aus dem Ausland zugewandert – damit war der Anteil höher als bei den Erwerbstätigen in dieser Berufsgruppe insgesamt.

Zudem machten allein die seit 2007 Zugezogenen mehr als 8 Prozent aller Experten und Spezialisten in den IT- und naturwissenschaftlichen Berufen aus – in keiner anderen Berufsgruppe war der Anteil höher.

Zuwanderung gezielter fördern

Da sich die demografischen Probleme und damit auch der Fachkräftemangel in Deutschland in den kommenden Jahren aller Voraussicht nach weiter verschärfen werden, muss die Bundesregierung die Zuwanderung künftig noch stärker, aber auch gezielter fördern. Zu beachten sind dabei auch die Voraussetzungen in den möglichen Herkunftsländern. So haben die mittel- und osteuropäischen Staaten, aus denen zuletzt viele Menschen nach Deutschland kamen, selbst mehr und mehr mit einer alternden Bevölkerung und Fachkräfteengpässen zu tun. Die deutsche Politik sollte deshalb darauf verzichten, gezielt Zuwanderer von dort zu gewinnen.

Günstiger ist die Lage in Ländern wie Indonesien, Bangladesch und vor allem Indien mit seinen rund 1,4 Milliarden Einwohnern – sowohl mit Blick auf die Altersstruktur der Bevölkerung als auch auf den sich verbessernden Bildungsstand.

Einkommen, Arbeitsbedingungen und Sprache sind wichtige Kriterien für Zuwanderer

Allerdings ist es keineswegs selbstverständlich, dass sich auswanderungswillige und gut ausgebildete Menschen aus diesen Ländern für Deutschland als Ziel entscheiden. Schließlich werben auch viele andere Industriestaaten um hochqualifizierte Fachkräfte. Neben den erzielbaren Einkommen und den sonstigen Arbeitsbedingungen dürfte für die Entscheidung der potenziellen Zuwanderer auch maßgeblich sein, für wie offen sie die Gesellschaft im Zielland halten und ob bereits ihnen bekannte Menschen aus ihrer Heimat dort leben.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die mögliche Sprachbarriere – können Zuwanderer an ihrem neuen Wohn- und Arbeitsort in Englisch kommunizieren, ist das für viele ein Vorteil. Die angelsächsischen Länder haben es deshalb leichter, Zuwanderer etwa aus Indien für sich zu gewinnen.

Zuwanderungsbürokratie abbauen

Diese Befunde legen Konsequenzen für die deutsche Migrationspolitik nahe – beispielsweise, wenn es darum geht, Fachkräfte aus dem Ausland für aktuell zu besetzende Stellen zu rekrutieren. Hier gibt es zwar mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz von 2020 bereits einen liberal ausgestalteten Zugangsweg für ausländische Fachkräfte, die eine Stellenzusage eines deutschen Arbeitgebers haben. Beruflich qualifizierte Bewerber stehen allerdings oft vor einem großen Problem: Sie müssen im Rahmen einer aufwendigen Einzelfallprüfung nachweisen, dass ihr Ausbildungsniveau dem in Deutschland geforderten beruflichen Abschluss entspricht. Hier sollte in Betracht gezogen werden, die bereits jetzt erleichterten Bedingungen für besonders gesuchte IT-Fachkräfte auf andere Qualifikationen auszudehnen, bei denen es Engpässe gibt.

Außerdem sind die Verwaltungsabläufe im Rahmen der Fachkräfteeinwanderung zeitintensiv; das mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz eingeführte beschleunigte Verfahren können bislang nur die Arbeitgeber und nicht die Bewerber aus dem Ausland anstoßen. Es wäre hilfreich, wenn die potenziellen Zuwanderer ihr Visum online in Deutschland beantragen könnten und nur einmal bei den Auslandsvertretungen persönlich vorsprechen müssten, um sich das Visum ausstellen zu lassen. Im Optimalfall würde eine zentrale Anlaufstelle eingerichtet, die die Interessierten über Verfahrenswege, -dauer und -kosten informieren und zu spezifischen Nachfragen rechtssicher Auskunft erteilen könnte.

Um Deutschlands Position im Wettbewerb um international mobile Fachkräfte zu verbessern, reicht all dies aber wohl nicht aus. Vielmehr muss verstärkt gezielt um die möglichen Zuwanderer geworben werden, wie dies etwa schon über die Online-Plattform „Make it in Germany“ geschieht. Auch spezifische Rekrutierungsmaßnahmen wie Jobbörsen in Ländern mit besonders großen Migrationspotenzialen könnten hilfreich sein.

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