Gesetzliche Pflegeversicherung: Teurer Patient
Die Kosten für die ambulante und stationäre Pflege sind in Deutschland stark gestiegen. Zugleich gibt es für immer mehr Pflegefälle immer weniger Fachkräfte. Die Politik muss die demografischen Herausforderungen im Pflegesektor angehen – etwa durch die Förderung digitaler Innovationen, die das Pflegepersonal entlasten.
- Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland steigt kräftig – damit haben sich die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung von weniger als 17 Milliarden Euro im Jahr 2000 bis zuletzt auf etwa 60 Milliarden Euro erhöht.
- Zugleich drohen zunehmende Engpässe auf der Personalseite. Selbst in optimistischer Rechnung wächst die Lücke zwischen benötigten und verfügbaren Pflegekräften bis 2049 auf mehr als 280.000.
- Die Politik muss den Pflegesektor zügig und umfassend von bürokratischen Vorschriften entlasten sowie den Einsatz von digitalen Innovationen und Pflegerobotern fördern.
Wenn Menschen pflegebedürftig werden, ist das für die Angehörigen nicht nur emotional eine große Belastung. Auch die organisatorischen Herausforderungen sind groß – zum Beispiel wenn es darum geht, den passenden Pflegedienst oder einen Platz in einer stationären Einrichtung zu finden.
Die soziale Pflegeversicherung (SPV) hilft zu verhindern, dass ein Pflegefall für die Betroffenen auch noch zur übermäßigen finanziellen Belastung wird. Allerdings droht die SPV zunehmend selbst zum Patienten zu werden. So ist die Zahl der zu versorgenden Personen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen:
Allein von 2015 bis 2023 hat sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland auf fast 5,7 Millionen verdoppelt.
Eine Abflachung des Trends ist nicht zu erwarten – im Gegenteil, schließlich kommt die große Bevölkerungsgruppe der Babyboomer in etwa zehn bis 15 Jahren in ein Alter, in dem das Pflegefallrisiko signifikant steigt.
Die immer höheren Pflegefallzahlen sind eine wesentliche Ursache für erhebliche Ausgabensteigerungen (Grafik):
Von weniger als 17 Milliarden Euro im Jahr 2000 legten die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung bis zuletzt auf etwa 60 Milliarden Euro zu.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die SPV auf eine langfristig tragfähige Basis stellen lässt. Die in der Politik diskutierten Reformen zielen vornehmlich darauf ab, die Einnahmen zu steigern – indem der Kreis der Beitragszahler erweitert und/oder die Bemessungsgrundlage zum Beispiel auf Kapitalerträge der Versicherten ausgedehnt wird. Beides würde aber nicht verhindern, dass die Kosten weiter steigen. Dann wären jedoch erneute Anhebungen der Beitragssätze zur SPV unvermeidbar – die die Steuerzahler und die ohnehin krisengebeutelte deutsche Wirtschaft zusätzlich belasten würden.
Die Politik sollte daher lieber die bisherigen Leistungen auf den Prüfstand stellen – so wird bislang nicht hinterfragt, ob die Bezieher von Pflegegeld tatsächlich finanzielle Unterstützung benötigen.
Selbst im optimistischen Szenario dürfte die Zahl der erwerbstätigen Pflegekräfte bis zum Jahr 2049 nur leicht auf knapp 1,87 Millionen steigen, während dann 2,15 Millionen Pflegerinnen und Pfleger benötigt würden.
Für ein auf Dauer tragfähiges Pflegesystem reicht das jedoch nicht aus. Vielmehr ist ein stärkerer Fokus auf die demografischen Herausforderungen geboten. Denn nicht nur die Zahl der Pflegefälle steigt, es drohen auch zunehmende Engpässe auf der Personalseite, wie die Pflegekräftevorausberechnung des Statistischen Bundesamts zeigt. Das gilt auch bei optimistischen Annahmen – wie jener, dass Männer, deren Anteil an allen Pflegekräften wächst, ihre Arbeitszeit weniger stark reduzieren als Frauen, wenn sie eine Familie gründen (Grafik):
Selbst im optimistischen Szenario dürfte die Zahl der erwerbstätigen Pflegekräfte bis zum Jahr 2049 nur leicht auf knapp 1,87 Millionen steigen, während dann 2,15 Millionen Pflegerinnen und Pfleger benötigt würden.
In einem pessimistischeren Szenario ergibt sich sogar eine Differenz zwischen dem Bedarf und der Verfügbarkeit an Pflegekräften von gut 690.000 Personen.
Potenzial an zusätzlichen Fachkräften schrumpft
Die unerfreulichen Prognosen hängen zum einen damit zusammen, dass bereits heute rund ein Viertel der Beschäftigten in der Pflege im letzten Jahrzehnt ihrer Erwerbsphase steht und annähernd 40 Prozent 50 Jahre oder älter sind. Zum anderen wird es immer schwieriger, zusätzliche Pflegekräfte zu gewinnen. So haben in den zurückliegenden Jahren vor allem Frauen den Pflegesektor für einen (Wieder-)Einstieg in den Arbeitsmarkt genutzt und maßgeblich dazu beigetragen, dass beispielsweise im ambulanten Bereich die Zahl der Pflegebeschäftigten im Zeitraum von 2001 bis 2023 um 135 Prozent auf knapp 450.000 gestiegen ist. Die inzwischen recht hohen Erwerbsquoten von Frauen legen jedoch nahe, dass dieses Beschäftigungspotenzial weitgehend ausgereizt ist.
Auch die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften, die in den vergangenen Jahren zu einer immer wichtigeren Stütze des Pflegesektors in Deutschland geworden sind, stößt an Grenzen – nicht zuletzt deshalb, weil vor allem Pflegekräfte aus Osteuropa zunehmend in ihren Heimatländern benötigt werden. Denn auch dort altert die Bevölkerung.
Mit Innovationen gegensteuern
Um die Versorgung der Pflegebedürftigen trotz der absehbaren Personalengpässe sicherzustellen, muss die Politik den Pflegesektor zügig und umfassend von bürokratischen Vorschriften entlasten – beispielsweise gilt es, Dokumentationspflichten und starre Vorgaben für den Personaleinsatz zu reduzieren.
Nicht zuletzt sollte die Politik gesetzliche Bestimmungen – etwa die komplexen Regeln zu abrechenbaren Investitionskosten – ändern, die die Pflegeeinrichtungen und -dienste bislang davon abhalten, stärker in digitale Innovationen, den Einsatz von Pflegerobotern oder die Telepflege zu investieren.