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Gaspreis treibt Inflation und schwächt die Wirtschaft

Der Krieg in der Ukraine könnte in Deutschland unter anderem dazu führen, dass die ohnehin hohen Energiepreise weiter steigen. Dies hätte laut einer IW-Simulation erhebliche Auswirkungen auf die Inflationsrate, aber auch auf die Wirtschaftsleistung.

Kernaussagen in Kürze:
  • Infolge des Ukraine-Konflikts könnte der Preis für Erdgas in Deutschland deutlich über das derzeit ohnehin hohe Niveau hinaus steigen.
  • Das IW hat dazu zwei Szenarien simuliert – im ungünstigeren Fall könnte die Inflationsrate 2022 um 2,5 Prozentpunkte über dem Ausgangsszenario liegen und es wäre mit Wachstumseinbußen von 0,6 Prozent zu rechnen.
  • Vor diesem Hintergrund sollte die Politik mittel- bis langfristig den Erdgasbedarf Deutschlands deutlich senken, indem sie den Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreibt.
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Schon seit einer Weile kennen die Preise für Gas, Öl und Benzin weitgehend nur eine Richtung: nach oben. War dies zunächst vor allem auf die wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Corona-Pandemie zurückzuführen, machten sich in den vergangenen Wochen zusätzlich die Spannungen zwischen Russland und der Ukraine bemerkbar:

Die Energiepreise in Deutschland lagen im Januar 2022 insgesamt um mehr als ein Fünftel über dem Niveau des Vorjahresmonats.

Erdgas allein kostete gut 32 Prozent, Heizöl sogar fast 52 Prozent mehr als im Januar 2021. Insgesamt verteuerte sich die Lebenshaltung in Deutschland im Januar 2022 binnen Jahresfrist um 4,9 Prozent.

Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Erdgas

Dass die Verbraucherpreise weiter steigen, ist angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen keineswegs unwahrscheinlich. Ein wichtiger Faktor ist, dass Deutschland mehr als die Hälfte seiner Erdgasimporte aus Russland bezieht. Zwar gilt es unter Experten als unwahrscheinlich, dass Russland – etwa als Reaktion auf die harten westlichen Sanktionen – die Gaslieferungen nach Deutschland dauerhaft stoppt. Denn dann müsste Russland auf jährliche Euro-Einnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe verzichten.

Dennoch sind Liefereinschränkungen denkbar, die den Gaspreis weiter in die Höhe treiben könnten – zumal es in der Bundesrepublik derzeit noch keine Flüssiggasterminals gibt, in denen Gas aus anderen Ländern wie den USA angeliefert werden könnte, und die hiesige Wirtschaft daher mittelfristig auf Erdgasimporte aus Russland via Pipelines angewiesen ist.

IW-Simulation mit zwei Szenarien

Was eine solche Entwicklung für den künftigen Inflationstrend, aber auch für die Konjunktur in Deutschland bedeuten könnte, hat das Institut der deutschen Wirtschaft in einer Simulationsrechnung analysiert. Ausgangspunkt dafür ist ein Basisszenario, welches unterstellt, dass der Gaspreis in diesem und im kommenden Jahr deutlich unter das Niveau des vierten Quartals 2021 sinkt – eine Entwicklung, die vor dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts als plausibel gelten durfte.

Im ungünstigeren der beiden Szenarien würde die Inflation in Deutschland 2022 um 2,5 Prozentpunkte steigen – die Teuerungsrate könnte dann mehr als 6 Prozent betragen.

Mit diesem Ausgangsszenario werden nun zwei Szenarien verglichen: Im ersten bleibt der Gaspreis gegenüber dem Niveau des vierten Quartals 2021 unverändert, im zweiten steigt er um weitere 50 Prozent. Die Auswirkungen wären entsprechend unterschiedlich gravierend:

Inflation. Bleibt der Erdgaspreis auf dem hohen Niveau vom Jahresende 2021 (Szenario 1), könnten die Verbraucherpreise in Deutschland in diesem Jahr um 0,7 Prozentpunkte stärker steigen als im Basisszenario. Für 2023 ergäbe sich ein Anstieg der Inflationsrate um 2,3 Prozentpunkte.

Deutlich dramatischer wäre der Teuerungseffekt in Szenario 2 (Grafik):

Steigt der Erdgaspreis infolge des Kriegs in der Ukraine um 50 Prozent, könnte die Inflationsrate in Deutschland 2022 um 2,5 Prozentpunkte höher ausfallen als im Basisszenario der IW-Simulation ausgewiesen. Im kommenden Jahr wären es sogar 2,8 Prozentpunkte mehr.

Veränderung zentraler Wirtschaftsindikatoren gegenüber dem Basisszenario in Prozent bzw. Prozentpunkten Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Zieht man die Konjunkturprojektion der Deutschen Bundesbank vom vergangenen Dezember heran, ergibt sich damit für das laufende Jahr eine mögliche Inflationsrate von mehr als 6 Prozent. Im Jahr 2023 könnten die Verbraucherpreise demnach um rund 5 Prozent steigen.

Wirtschaftsleistung. Ein anhaltend hoher oder sogar weiter steigender Preis für Erdgas hätte auch Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität. Weil Europa besonders stark vom Preisanstieg betroffen ist, verschlechtert sich die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Länder etwa gegenüber den USA und Japan. Zudem schwächen die höheren Energiekosten die Kaufkraft der Verbraucher. Die Folge:

Gegenüber dem Ausgangsszenario würde das reale Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in Szenario 1 in diesem Jahr um 0,2 Prozent und im kommenden Jahr um 0,7 Prozent niedriger ausfallen.

Würde sich der Gaspreis wie in Szenario 2 entwickeln, müsste die deutsche Wirtschaft 2022 und 2023 mit Wachstumseinbußen von 0,6 beziehungsweise 1,4 Prozent rechnen.

Die von der Bundesbank zuletzt vorhergesagten realen Wachstumsraten von 4,2 Prozent für 2022 und 3,2 Prozent für das nächste Jahr würden demnach klar verfehlt.

Der private Konsum fiele im ersten Szenario im laufenden Jahr um 0,2 Prozent und im kommenden Jahr um 0,8 Prozent niedriger aus als in der Basissimulation berechnet. Sollte das zweite Szenario eintreffen, könnten die Konsumausgaben der Verbraucher 2022 sogar um 0,6 Prozent und 2023 um 1,6 Prozent hinter den Werten des Basisszenarios zurückbleiben.

Was die Politik tun kann

Auch wenn all diese Szenarien keine Prognosen darstellen und weitere mögliche Auswirkungen des aktuellen Konflikts auf die deutsche Wirtschaft unberücksichtigt bleiben: Die Ergebnisse der Simulation verdeutlichen in jedem Fall, wie problematisch die bis dato so starke Rolle Russlands als Erdgaslieferant für Deutschland ist. Vor diesem Hintergrund sollte die Politik zumindest mittelfristig die Erdgasimporte stärker diversifizieren, auch indem sie vermehrt auf Flüssiggas setzt. Langfristig gilt es, den Erdgasbedarf über den Ausbau der erneuerbaren Energien deutlich zu senken.

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