Exportmotor für die Autoindustrie
Die deutsche Autoindustrie setzt große Hoffnungen auf das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP, das seit Juli 2013 zwischen den USA und Europa verhandelt wird. Denn derzeit wird der Export von Autos und Autoteilen nach Amerika durch zahlreiche Handelsbarrieren erschwert, was Kosten in Milliardenhöhe verursacht. Die Vereinigten Staaten sind für die deutschen Autobauer Exportland Nummer eins.
- Die deutsche Autoindustrie exportierte 2014 Autos, Autoteile und Lkws für 27 Milliarden Euro in die USA.
- Die deutschen Automobilunternehmen zahlen jedes Jahr etwa 1 Milliarde Euro an Zöllen für ihren Handel mit den USA.
- Derzeit wird der Export von Autos in die USA durch zahlreiche Handelsbarrieren erschwert.
Die Automobilindustrie ist ein Schwergewicht: Sie beschäftigt EU-weit über zwei Millionen Menschen und setzt mehr als 800 Milliarden Euro um. Zudem entfällt auf sie ein Viertel der Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Europa.
Nach China ist die EU der weltweit zweitgrößte Autohersteller:
Im Jahr 2014 liefen in den 28 EU-Mitgliedsstaaten mehr als 16 Millionen Kraftfahrzeuge vom Band, davon fast 6 Millionen in Deutschland.
Vier von zehn Pkws, die in der EU produziert werden, sind für den Export bestimmt. Der größte Abnehmer sind die USA – das gilt insbesondere für Deutschland (Grafik):
Die deutsche Autoindustrie exportierte im Jahr 2014 Autos, Autoteile und Lkws für 27 Milliarden Euro in die USA – das waren fast 14 Prozent ihrer gesamten Ausfuhren.
Immer mehr deutsche Autohersteller begnügen sich jedoch nicht mit dem Export von Pkws und Pkw-Teilen, sondern fahren zweispurig und produzieren einen Teil ihrer Angebotspalette direkt in Amerika. Laut Verband der deutschen Automobilindustrie sind die Autoexporte in die USA zwischen 2004 und 2014 um 20 Prozent gestiegen – ihre Produktion vor Ort haben die deutschen Unternehmen im selben Zeitraum allerdings um 230 Prozent gesteigert.
Ein wesentlicher Grund für das verstärkte Engagement im Ausland sind die Barrieren, die den transatlantischen Handel erschweren. Da sind zum einen die Zölle auf Autoteile und Pkws, die den Atlantik überqueren: Zwar beträgt der durchschnittliche Zollsatz für Produkte der EU-Autoindustrie in den USA nur 3,1 Prozent – umgekehrt erhebt die EU 4,1 Prozent für Autos und Autoteile made in USA. Für einige Wagenklassen fallen die Zölle jedoch wesentlich höher aus. Wer etwa einen Pick-up oder Lkw aus der EU in die USA importiert, muss 25 Prozent zahlen (Grafik).
Aufgrund des intensiven Handels zwischen der EU und den USA summieren sich die jährlichen Zollzahlungen auf stolze Beträge:
Allein die deutschen Automobilunternehmen müssen jedes Jahr etwa 1 Milliarde Euro an Zöllen für ihren Handel mit den USA aufwenden.
Der größte Anteil entfällt auf den Pkw-Handel. Und genau hier gibt es in puncto Zollsatz eine gewisse Asymmetrie: Während europäische Exporteure nur 2,5 Prozent Zoll zahlen, müssen die US-Hersteller an den EU-Grenzen 10 Prozent entrichten. Wenn diese Zölle aufgrund eines Freihandelsabkommens fallen, macht Europa also ein größeres Zugeständnis – ein Umstand, den es im Rahmen der Verhandlungen strategisch einzusetzen gilt.
Außer den Zöllen spielen auch noch die sogenannten nichttarifären Handelshemmnisse eine große Rolle im transatlantischen Handel. Schätzungen zufolge summieren sich diese Hemmnisse in der Automobilindustrie auf einen Betrag, der einer Zollabgabe von 26 Prozent entsprechen würde. Diese Kosten entstehen zum Beispiel, weil in den USA andere Produktstandards und Zulassungsverfahren für Autos gelten als in Europa.
Die nichttarifären Handelsbarrieren lassen sich in zwei Kategorien unterscheiden: Sicherheitsstandards auf der einen Seite, Umweltschutz- und Treibstoffverbrauchsstandards auf der anderen. Zu den Sicherheitsstandards zählen technische Vorschriften, die zum Beispiel die Farbe der Blinker, die Einklappbarkeit der Außenspiegel oder die Eigenschaften von Scheibenwischern regeln. All diese Vorschriften fallen in den USA anders aus als in der EU, sodass in der Praxis Autohersteller auf beiden Seiten des Atlantiks ihre Produktionslinien wesentlich verändern müssen, um den Vorschriften des Exportlands zu genügen.
Auch die Zulassungsverfahren unterscheiden sich: In den USA müssen die Hersteller von Autos und Autoteilen ihre Produkte selbst zertifizieren, in Europa unterliegen sie einem obligatorischen Genehmigungsverfahren.
Mit den Umweltschutzstandards ist es ähnlich, auch hier gibt es viele Unterschiede: Die Autotests werden in den USA mit anderen Geschwindigkeiten und Tempolimits durchgeführt als in der EU, es gibt unterschiedliche Grenzwerte für den Schadstoffausstoß und auch der Treibstoffverbrauch wird in den USA reguliert, anders als in Europa.
Bei all dem geht es letztlich um die Frage, welche Autos sicherer sind, die aus den USA oder die aus Europa. Generell, so das Peterson Institute in Washington, gebe es keine wesentlichen Unterschiede, das belege die Zahl der Todesfälle im Straßenverkehr auf beiden Kontinenten. Trotzdem lässt sich ein nach US-Standards produziertes Auto nicht ohne weiteres in Europa vermarkten, denn viele technische Standards sind an die amerikanische Infrastruktur oder auch an geografische Besonderheiten angepasst. Erst wenn nachgewiesen würde, dass ein Auto aus den Vereinigten Staaten grundsätzlich genauso sicher auf Europas Straßen unterwegs sei wie die Pkws aus hiesiger Produktion, könnte im Rahmen von TTIP die gegenseitige Anerkennung von Produktstandards erfolgen.
Es wird sicher nicht möglich sein, mit einem Freihandelsabkommen alle technischen Details im Automobilsektor anzugleichen. Doch das ist auch gar nicht erforderlich, solange mit unterschiedlichen Normen – etwa für eine Stoßstange – dasselbe Sicherheitsniveau erreicht wird und deshalb eine gegenseitige Anerkennung dieser Normen stattfinden kann. Das Londoner Centre for Economic Policy Research geht deshalb davon aus, dass im Rahmen von TTIP die nichttarifären Handelshemmnisse in der Autoindustrie fast zur Hälfte abgebaut werden könnten.
Dass sich Freihandelsabkommen meist positiv auf die heimische Autoindustrie auswirken, zeigt ein Blick in die Statistik (Grafik): Deutschland hat in den vergangenen 20 Jahren unter anderem mit der Türkei, Südafrika, Chile und Südkorea Freihandelsabkommen geschlossen – alle dieses Länder führen seitdem deutlich mehr deutsche Autos und Autoteile ein als vorher.
„Wir sparen Zeit und die Verbraucher Geld“
Arndt Kirchhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff Gruppe, steht einem Familienunternehmen vor, das rund 10.000 Mitarbeiter in zwölf Ländern beschäftigt. Kirchhoff ist Zulieferer für die internationale Automobilindustrie und ein Befürworter des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP.
Herr Kirchhoff, Sie haben mal gesagt, wenn TTIP kommt, würde dies ein Fünftel der Ingenieurkapazitäten in Ihrem Unternehmen befreien. Werden Sie diese Mitarbeiter entlassen?
Natürlich nicht! Wir haben ja einen chronischen Mangel an Ingenieuren und wir brauchen sie dringend, um die vielen kleinen Erfindungen zu machen, die am Ende in Produkte eingehen, mit denen wir auf den Weltmärkten Erfolg haben. Im Moment haben diese Ingenieure aber doppelte Arbeit, nur weil wir in Europa und Amerika unterschiedliche Normen haben.
Sie sind doch bereits mit sieben Standorten in den USA präsent, wo Sie direkt für den amerikanischen Markt produzieren. Da fällt dann gar keine Doppelarbeit mehr an, oder?
Doch, wir produzieren in Amerika, wenn auch unter einem anderen Namen, den gleichen Golf und den gleichen Opel Astra wie hier in Europa, die Autos sind nur anders konstruiert und werden anders getestet. Aber wir dürfen sie nicht nach Europa exportieren. Dasselbe gilt umgekehrt für in Europa hergestellte Autos, die wir nicht nach Amerika ausführen können, es sei denn, wir bauen sie für den US-Markt um. De facto führen die unterschiedlichen Normen und Standards dazu, dass wir das gleiche Auto zweimal konstruieren.
Was würde ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA in Ihrem Unternehmen konkret verändern?
Zunächst einmal würden wir die Zeit der Mitarbeiter, die sie heute mit Doppelarbeiten verbringen, anders verplanen. Unsere Ingenieure hätten dann beispielsweise mehr Zeit für die Entwicklung. Zweitens würden wir schauen, welche Produkte wir nach dem Wegfall der Zölle konkurrenzfähig für den amerikanischen Markt bauen können. Wir würden insgesamt ein kostengünstigeres Produkt erreichen, denn der Verbraucher zahlt die Doppelarbeit ja mit, die wir heute aufgrund der unterschiedlichen Standards leisten müssen.
Würde das Jahresergebnis Ihres Unternehmens nicht auch von TTIP profitieren?
Es könnte schon sein, dass wir unser Ergebnis steigern – immer vorausgesetzt, dass wir unsere Mitarbeiter besser einsetzen können.
Fürchten Sie sich nicht vor der amerikanischen Konkurrenz?
Wenn Zölle fallen, dann gilt das ja für beide Seiten. Wir wollen alle mehr absetzen, auch die Konkurrenz. Aber wir möchten unser Geschäft nicht mithilfe von Protektionismus betreiben, das ist niemals im Interesse der Wirtschaft.
Was würde denn ein heutiges 35.000-Euro-Auto kosten, wenn TTIP in Kraft wäre?
Ein in Deutschland hergestelltes Auto würde immer noch 35.000 Euro kosten. Wenn das Auto aus Amerika kommt und bisher mit 10 Prozent Zoll belegt wird, würde dieses Auto 10 Prozent günstiger.
Wie stehen Sie zu dem umstrittenen Investorenschutz, der es ausländischen Unternehmen ermöglicht, eine Regierung zu verklagen?
Ich bin für den Investorenschutz, denn wenn ich in einem anderen Land investiere, dann tue ich das aufgrund eines Rechtsrahmens, auf den ich mich verlasse. Wenn dieser Rechtsrahmen aber plötzlich nicht mehr gilt und mein Geschäftsmodell behindert, muss es eine Möglichkeit geben, wie ich meine Ansprüche dort geltend machen kann.
Gehören neue Gesetze oder Auflagen, die ein Staat erlässt, nicht zum unternehmerischen Risiko?
Nein, das Unternehmen trägt nur das Marktrisiko. Doch wenn der Staat die Spielregeln ändert, dann wird es problematisch.