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Einkommens­unterschiede sind auch eine Frage der Bildung

Mehr Akademiker, mehr Zuwanderer und mehr ältere Einwohner: drei Trends, die sich in Deutschland auch auf die Einkommensverteilung auswirken. Wie genau, das hat das Institut der deutschen Wirtschaft zur zentralen Frage seines jüngsten Verteilungsreports gemacht.

Kernaussagen in Kürze:
  • Mittlerweile lassen sich 12 Prozent der Einkommensunterschiede mit dem Bildungsniveau erklären.
  • Der Migrationshintergrund und die Altersstruktur beeinflussen die Einkommen in Deutschland dagegen kaum.
  • Durch den Fachkräftemangel in einigen Berufen hat sich die Einkommensungleichheit bei Hochqualifizierten merklich erhöht.
Zur detaillierten Fassung

Henri Theil war ein niederländischer Ökonometriker, geboren in Amsterdam, gestorben in Jacksonville, Florida. In der Ökonomie fällt sein Name immer dann, wenn Ungleichheit verlässlich beziffert werden soll. Denn neben dem recht bekannten Gini-Koeffizienten taugt auch der Theil-Index als Maß für die Ungleichheit der Einkommen – und kann sogar etwas besser als der Gini: Er lässt sich in zwei Teile zerlegen. Der eine Teil misst die Ungleichheit innerhalb einer Gruppe – zum Beispiel jener der Zuwanderer – und der andere, wie stark die Ungleichheit zwischen den Gruppen ist.

Ein immer größerer Teil der Einkommensunterschiede in Deutschland lässt sich mit dem Bildungsniveau erklären.

In seinem jüngsten Verteilungsreport hat das IW den Theil-Index genutzt, um dreierlei zu klären: Wie hat sich die Nettoeinkommensverteilung seit 1995 mit Blick auf das Bildungsniveau in Deutschland verändert? Wie zweitens aufgrund der höheren Nettozuwanderung? Und wie aufgrund eines höheren Anteils älterer Einwohner durch den demografischen Wandel? Das Ergebnis ist eindeutig (Grafik):

Für das Jahr 2019 lassen sich 12 Prozent der Einkommensunterschiede in Deutschland allein mit dem Bildungsniveau erklären. Im Jahr 1995 basierten nur etwas mehr als 9 Prozent der Unterschiede auf dem Qualifikationsgefälle.

So viel Prozent der Unterschiede der bedarfsgewichteten Haushaltsnettoeinkommen lassen sich mit Bildungsunterschieden erklären Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Der Migrationshintergrund ist momentan dagegen nur für weniger als 3 Prozent der Ungleichheit verantwortlich; Gleiches gilt für die Altersstruktur. Bei ihr erwarten die Forscher unter gewissen Annahmen sogar, dass eine weiter steigende Zahl Senioren die Ungleichheit dämpfen könnte – Rentner haben gleichförmiger verteilte Einkommen als Erwerbstätige.

Insgesamt hat sich der Theil-Index parallel zum Gini-Koeffizienten entwickelt: Von 1995 bis 2005 stieg er von 0,11 auf 0,16 Punkte – wobei ein höherer Wert eine höhere Ungleichheit bedeutet. Seit 2005 hat sich der Index wie der Gini dann kaum noch verändert, die Einkommensunterschiede haben sich also nicht gravierend verstärkt.

Das Ergebnis gilt allerdings nicht, wenn die Lage aus einer anderen Perspektive bewertet wird – nämlich jener, die darauf abstellt, wie sich die Einkommensungleichheit innerhalb einzelner Bildungsniveaus im Zeitverlauf entwickelt hat (Grafik):

Während sich die Einkommensungleichheit von Personen mit mittlerer und geringer Bildung kaum verändert hat, hat sie sich bei jenen mit hoher Qualifikation merklich erhöht.

So hat sich die Ungleichheit entwickelt Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Dafür, vermuten die IW-Ökonomen, gibt es verschiedene Gründe –allen voran den Fachkräftemangel, der dazu geführt hat, dass hochqualifizierte Beschäftigte in Mangelberufen mittlerweile besonders gut bezahlt werden. Aber auch die Tatsache, dass immer mehr gut ausgebildete Menschen in Singlehaushalten leben, beeinflusst die Statistik. Denn das bedarfsgewichtete Haushaltseinkommen von Singles ist niedriger als das von Paaren, die sich Güter wie Waschmaschine oder Kühlschrank teilen.

Betrachtet man mithilfe des Theil-Index den Migrationshintergrund als Erklärung für Einkommensungleichheit im Detail, zeigt sich: Jener Teil der Ungleichheit, der sich durch einen direkten Migrationshintergrund erklären lässt, ist von 2015 – da hatte die Flüchtlingsmigration in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht – bis 2019 leicht gesunken. Das dürfte daran liegen, dass es einem Teil der Geflüchteten gelungen ist, in Deutschland beruflich und gesellschaftlich Fuß zu fassen.

Ein anderer Befund macht allerdings nachdenklich: Wird anhand des Theil-Index überprüft, wie sich die Ungleichheit in der Gruppe ohne Migrationshintergrund, in jener mit direktem Migrationshintergrund und in jener mit indirektem Migrationshintergrund – die Eltern sind eingewandert – entwickelt hat, sticht die Nettoeinkommensungleichheit in der Gruppe derjenigen mit indirektem Migrationshintergrund heraus: Der Indexwert von rund 0,2 ist mit Abstand am höchsten. Auch hier ist es der Bildungsstand, der die Ungleichheit maßgeblich beeinflusst:

Die Gruppe der Personen mit geringem Bildungsniveau und indirektem Migrationshintergrund ist nach wie vor überdurchschnittlich groß. Der Anteil jener Migranten mit hohem Bildungsniveau liegt indes nur minimal unter der entsprechenden Quote jener ohne Migrationshintergrund.

Anders gewendet: Seit 2015 ist die Gruppe der Menschen mit ausländischen Wurzeln und mittlerer Qualifikation (relativ) kleiner geworden. Deshalb ist nach wie vor die Bildung der zentrale Hebel, mit dem die Politik Einkommensunterschiede in Deutschland effektiv reduzieren könnte.

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