Einheitliches Europa
Die Bundesregierung plant, die Tarifeinheit gesetzlich zu verankern – und treibt damit die Spartengewerkschaften auf die Barrikaden. Dabei sind solche klaren Spielregeln auch in anderen europäischen Ländern Standard und verhindern unnötige Reibereien zwischen den Gewerkschaften.
- Die Bundesregierung plant, die Tarifeinheit gesetzlich zu verankern - ein Standard, der in vielen anderen europäischen Ländern längst gilt.
- Im Vereinigten Königreich führen verschiedene Vorgaben dazu, dass Gewerkschaften „Vernunfttarifgemeinschaften“bilden.
- In Frankreich dürfen Tarifverträge nur von tariffähigen Gewerkschaften geschlossen werden - und in Polen gibt es Regelungen, die zu einem gemeinsamen Handeln der Gewerkschaften führen sollen
Das Gesetz zur Tarifeinheit soll dafür sorgen, dass in einem Unternehmen, in dem rivalisierende Gewerkschaften verschiedene Tarifverträge anstreben, derjenige Vertrag für rechtmäßig erklärt wird, der die Mehrheit der Beschäftigten erfasst (vgl. iwd 3/2015). Diese Mehrheitsregel kann im Einzelfall dazu führen, dass eine kleine Gewerkschaft nicht für einen eigenen Tarifvertrag streiken darf. Im Vordergrund steht aber, dass organisationspolitische Streitereien zwischen Gewerkschaften bereits vor den Tarifverhandlungen beigelegt werden.
Anderswo in Europa gibt es längst Regelungen, um die Gewerkschaften zu einer gemeinsamen Verhandlungsführung zu bewegen:
Im Vereinigten Königreich führen verschiedene Vorgaben dazu, dass Gewerkschaften „Vernunfttarifgemeinschaften“ bilden. Um als Verhandlungspartner anerkannt zu werden, muss eine Gewerkschaft von der Belegschaft ausreichend unterstützt werden. Mindestens 10 Prozent der Mitarbeiter müssen in der Gewerkschaft organisiert sein und die Mehrheit der Belegschaft muss sich zudem für eine gewerkschaftliche Vertretung aussprechen. Wollen mehrere Gewerkschaften verhandeln, müssen sie eine Verhandlungsgemeinschaft bilden, sofern der Arbeitgeber dies wünscht. Eines der Ziele dieser Regelung ist es, den Arbeitgeber nicht in Streitigkeiten zwischen rivalisierenden Gewerkschaften hineinzuziehen.
In Frankreich dürfen Tarifverträge nur von tariffähigen Gewerkschaften geschlossen werden. Welche Gewerkschaft tariffähig ist, entscheidet der Gesetzgeber. Zwei Voraussetzungen müssen dazu erfüllt sein: Zum einen muss eine Gewerkschaft repräsentativ sein; das heißt, sie hat bei den vergangenen Betriebsratswahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen erhalten. Zum anderen können Verträge nur von Gewerkschaften geschlossen werden, die einzeln oder gemeinsam auf mindestens 30 Prozent der Stimmen einer Betriebsratswahl kommen. Diese Regelung zwingt die Gewerkschaften zur Kooperation, denn die rivalisierenden französischen Richtungsgewerkschaften, die jeweils politisch anders orientiert sind, kommen alleine nicht auf die nötigen Stimmen.
In Polen gilt zwar grundsätzlich Tarifpluralität, was bedeutet, dass mehrere Tarifverträge für unterschiedliche Arbeitsverhältnisse gelten können und der Arbeitgeber dann an verschiedene Tarife gebunden ist. Es gibt aber Regelungen, die zu einem gemeinsamen Handeln der Gewerkschaften führen sollen. Bei überbetrieblichen Verhandlungen müssen konkurrierende Gewerkschaften sogar Tarifgemeinschaften bilden. Bei betrieblichen Verhandlungen setzt sich die Gewerkschaft durch, die den ersten Abschluss tätigt. Die polnischen Gewerkschaften sind betrieblich organisiert – es gibt rund 25.000 Einzelgewerkschaften; in Deutschland sind es 90.
In Italien existieren keine derartigen gesetzlichen Vorschriften. Deshalb arbeiten die drei großen Gewerkschaftsbünde meist freiwillig zusammen. Auf der betrieblichen Ebene geht dies allerdings nur begrenzt, weil es viele Spezialistengewerkschaften gibt – wie in Deutschland etwa die Gewerkschaft der Flugsicherung.
Interview
Hagen Lesch ist Leiter des Kompetenzfelds Tarifpolitik und Arbeitsbeziehungen am Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Er beobachtet und analysiert seit Jahren nicht nur den deutschen, sondern auch den europäischen Tarifraum.
Was können wir von den Tarifregelungen unserer europäischen Nachbarn lernen?
Auch im Ausland konkurrieren Gewerkschaften miteinander. Probleme gibt es dabei vor allem in Italien und Polen. In Italien fehlt eine gesetzliche Regelung, auf der Betriebsebene bilden sich neue Spezialistengewerkschaften. In Polen gibt es einfach zu viele Gewerkschaften. Die müssen sich zwar abstimmen, was aber sehr aufwendig ist. Keine Probleme gibt es dagegen in Frankreich und im Vereinigten Königreich. Auf der Insel gibt es gesetzliche Regelungen, die die Gewerkschaften in eine Tarifgemeinschaft zwingen. In Frankreich müssen bestimmte Schwellenwerte erreicht werden, was die Gewerkschaften oft nur in Kooperation schaffen.
In welchen Ländern sind die Regelungen so oder ähnlich wie in Deutschland geplant?
Jedes Land hat seine eigenen Regeln, die auf die jeweilige Gewerkschaftsstruktur ausgerichtet sind. In Frankreich dürfen nur Gewerkschaften Tarifverträge schließen, die 30 Prozent der Belegschaft hinter sich haben, und im Vereinigten Königreich kann der Arbeitgeber verlangen, dass rivalisierende Gewerkschaften gemeinsam verhandeln. Das sind andere Ansätze als die von der Bundesregierung geplante Mehrheitsregel. Sie verfolgen aber alle dasselbe Ziel: Die Gewerkschaften sollen zusammenarbeiten, statt zu streiten – und so den Betrieb lahmzulegen.