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des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Argentinien Lesezeit 4 Min.

Die Politik von Präsident Milei bedroht die argentinische Industrie

Seit Javier Milei argentinischer Präsident ist, hat sich die Wirtschaft des Landes stabilisiert und die Inflation ist deutlich zurückgegangen. Der genauere Blick auf weitere geplante Reformen offenbart aber erhebliche Risiken – zumal die wirtschaftliche Erholung aktuell nicht alle Wirtschaftszweige umfasst.

Kernaussagen in Kürze:
  • Javier Milei hat sein Versprechen wahr gemacht, die Inflation in Argentinien zu senken: Im Schnitt des Jahres 2024 halbierte sie sich nahezu.
  • Das Bruttoinlandsprodukt sank allerdings um fast 4 Prozent, vor allem die für Argentinien wichtige Industrie steckt weiter in einer Rezession.
  • Die Standortbedingungen der Industrie müssen dringend verbessert werden, ansonsten droht durch weitere Reformvorhaben der Milei-Regierung eine schnell voranschreitende Deindustrialisierung.
Zur detaillierten Fassung

Seit Dezember 2023 ist Javier Milei argentinischer Präsident. Er trat mit dem Versprechen an, die Wirtschaft des Landes zu stabilisieren sowie die enorme Inflation zu bekämpfen – und er ergriff dafür drastische Maßnahmen. Unter anderem strich er Tausende Stellen im öffentlichen Dienst und kürzte Sozialleistungen sowie Subventionen, beispielsweise für Sprit, Strom und öffentliche Verkehrsmittel.

Nach einem Jahr lässt sich nun eine erste Bilanz ziehen, in welche Richtung sich die argentinische Wirtschaft entwickelt. Das mit Blick auf die volkswirtschaftlichen Bedingungen recht ähnliche Brasilien dient dabei als Vergleichsland für die Entwicklung ohne Mileis Reformen.

Die Standortbedingungen der argentinischen Industrie müssen dringend verbessert werden, ansonsten droht durch die geplanten Reformen der Milei-Regierung eine schnell voranschreitende Deindustrialisierung.

Tatsächlich hat der neue argentinische Präsident sein Versprechen wahr gemacht, die Inflation zu senken: Im Schnitt des Jahres 2024 halbierte sie sich nahezu – lag allerdings noch immer über der Marke von 100 Prozent. In Brasilien sank sie im gleichen Zeitraum um gut ein Fünftel auf 3,6 Prozent. Der harte Sparkurs der argentinischen Regierung ging jedoch zulasten des Bruttoinlandsprodukts (Grafik):

Während das brasilianische BIP 2024 um etwa 3 Prozent wuchs, ging das argentinische um schätzungsweise 3,8 Prozent zurück.

Wirtschaftsindikatoren für die Jahre 2023 und 2024 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Auch der Blick auf die verschiedenen Wirtschaftszweige in Argentinien zeigt ein gespaltenes Bild (Grafik):

Der Rohstoffsektor boomt, die Industrie befindet sich aber weiterhin in der Rezession.

Saison- und preisbereinigte Wertschöpfung dieser Wirtschaftsbereiche, erstes Quartal 2017 = 100 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

So lag die Bruttowertschöpfung der Landwirtschaft – mit einem Anteil von 9 Prozent an der gesamten argentinischen Wertschöpfung einer der wichtigsten Wirtschaftszweige des Landes – im dritten Quartal 2024 nur knapp über dem Niveau von 2017, dem letzten Jahr vor Beginn der Rezession im Land. Auch im Verarbeitenden Gewerbe läuft es nach wie vor nicht rund, energieintensive Sektoren wie die Gummi- und Kunststoffindustrie produzierten im Herbst 2024 im Vergleich zu 2017 rund 25 Prozent weniger.

Ganz anders der Bergbau: Der Sektor, zu dem auch die Gas- und Ölförderung gehört, profitiert von den Steuer- und Zollsenkungen für Großinvestitionen ab einer Höhe von 200 Millionen Dollar, die von der Milei-Regierung beschlossen wurden. Durch die neue Regelung stiegen vor allem die Direktinvestitionen aus dem Ausland, insbesondere aus den USA.

Mileis Vorhaben unter der Lupe

Für die Zukunft plant Milei viele weitere Reformen, bei dreien lohnt sich ein genauerer Blick:

Steuerpolitik. Argentinien hat mit 35 Prozent einen der höchsten Unternehmenssteuersätze der Welt. Milei hat für 2025 eine umfassende Steuerreform angekündigt, die Unternehmen entlasten soll, und will 90 Prozent der nationalen Steuern abschaffen. Offen bleibt, wie die daraus resultierenden geringeren Staatseinnahmen ausgeglichen werden sollen. Weitere Kürzungen im öffentlichen Sektor würden sich negativ auf Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen wie Nahverkehr, Energieversorgung oder Bildungseinrichtungen auswirken – was zulasten von Innovationskraft und der Ausbildung von Fachkräften gehen würde.

Energiepolitik. Milei will Argentinien zu einer KI-Hochburg entwickeln. Den dafür benötigten zusätzlichen Strombedarf will er durch Atomenergie decken – ein Vorhaben, das erhebliche Kostenrisiken birgt. Der Bau von neuen Meilern ist laut verschiedenen Studien aktuell nur in schnell wachsenden Volkswirtschaften wie China oder Indien rentabel, da dort niedrige Arbeitskosten, effiziente Wertschöpfungs- und Recyclingketten sowie eine hohe Technologieaffinität aufeinandertreffen – Voraussetzungen, die in Argentinien kaum gegeben sind. Mileis Fokus sollte stattdessen darauf liegen, die in Argentinien noch unterentwickelten erneuerbaren Energien stärker zu fördern.

Geldpolitik. Ein zentrales Vorhaben ist die „Dollarisierung“ Argentiniens – also der Wechsel vom argentinischen Peso zum US-Dollar als offizieller Währung des Landes. Damit würde er großen Teilen der heimischen Wirtschaft allerdings eher schaden als helfen und die bestehende Industriekrise weiter verschärfen.

Der Grund: Die Arbeitsproduktivität ist in Lateinamerika deutlich niedriger als in Europa oder den USA, sodass die Produktionskosten der gleichen Güter dort höher ausfallen. Das konnte Argentinien bisher ausgleichen, indem es die heimische Währung abwertet – was dazu führt, dass verstärkt inländische anstelle ausländischer Güter gekauft werden. Dieser Währungsvorteil würde beim Wechsel zum Dollar entfallen, sodass argentinische Industrieunternehmen direkt mit ausländischen Konkurrenten in den Wettbewerb treten müssten. Damit würde das Verarbeitende Gewerbe unter erheblichen Kostendruck geraten und im Zweifel noch weniger produzieren. Genau das trat zum Beispiel Anfang der 2000er Jahre in Ecuador ein, wo die Industrie nach der Einführung des Dollars als offizieller Währung erheblich an Bedeutung verlor. Einen Ansatz, wie er im Falle einer Dollarisierung die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Sektors steigern will, blieb Milei bislang schuldig.

Um die argentinische Wirtschaft nachhaltig zu stärken, darf Milei die Industrie – seit Jahrzehnten ein wertschöpfungsreicher Wirtschaftssektor, der essenziell für den Arbeitsmarkt des Landes ist – nicht aus dem Blick verlieren. Die Standortbedingungen der Branche müssen dringend verbessert werden, ansonsten droht eine schnell voranschreitende Deindustrialisierung.

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