Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

Beschäftigung Lesezeit 5 Min.

Die Fachkräftelücke wächst weiter

Auch wenn der Arbeitsmarktmotor in jüngster Zeit ins Stottern geraten ist, sprechen längerfristige Trends dafür, dass die Beschäftigtenzahlen in Deutschland in den kommenden Jahren weiter steigen werden. Die aktuelle IW-Arbeitsmarktfortschreibung zeigt aber ebenfalls, dass sich der Fachkräftemangel noch verschärfen dürfte.

Kernaussagen in Kürze:
  • Laut IW-Arbeitsmarktfortschreibung steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland von 2024 bis 2028 im jährlichen Schnitt um gut 397.000.
  • Dennoch wächst die Fachkräftelücke weiter – im Jahr 2028 werden der Fortschreibung zufolge rund 768.000 qualifizierte Arbeitskräfte fehlen.
  • Um gegenzusteuern, sollte die Politik unter anderem die Anreize weiter erhöhen, dass ältere Erwerbstätige möglichst lange im Job bleiben. Zudem benötigen die Unternehmen mehr Unterstützung bei der Gewinnung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Zur detaillierten Fassung

Wirtschafts- und Arbeitsmarktforscher haben es seit einigen Jahren wohl noch schwerer als zuvor, halbwegs zutreffende Prognosen abzugeben: Erst kam Corona, dann startete Russland seinen Krieg gegen die Ukraine. Beides wirbelte die Weltwirtschaft gehörig durcheinander. Und seit Herbst 2024 führt Donald Trump auf erratischem Kurs die USA als größte Volkswirtschaft der Welt, was die Verunsicherung von Politikern und Unternehmen rund um den Globus noch verstärkt hat.

Der deutsche Arbeitsmarkt hat den diversen Kriseneinflüssen lange Zeit getrotzt. Doch das dritte Jahr in Folge ohne nennenswertes Wirtschaftswachstum wirkt bremsend auf den Beschäftigungsanstieg, die Arbeitslosenquote könnte 2025 im Schnitt bei 6,3 Prozent liegen (siehe “IW-Konjunkturprognose: Wirtschaft in unsicheren Gefilden”).

Eine Arbeitsmarktprognose über 2025 hinaus ist angesichts der vielen Unsicherheitsfaktoren äußerst schwierig. Das IW blickt dennoch nach vorn – mit seiner aktualisierten Arbeitsmarktfortschreibung. Sie ist keine Vorhersage, sondern zeigt, wie sich die Beschäftigung und Fachkräftesituation in Deutschland entwickeln würde, wenn sich wesentliche arbeitsmarktrelevante Trends der vergangenen Jahre fortsetzen.

Der IW-Arbeitsmarktfortschreibung zufolge steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland von 2024 bis 2028 im jährlichen Schnitt um annähernd 400.000, dennoch wird sich die Fachkräftelücke vergrößern.

Auf der Basis des Zeitraums 2017 bis 2023 geben die IW-Forscher so einen Ausblick auf den Arbeitsmarkt bis zum Jahr 2028 (Grafik):

Laut IW-Arbeitsmarktfortschreibung steigt die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland von 2024 bis 2028 im jährlichen Schnitt um gut 397.000.

In diesem Ausmaß tragen der IW-Arbeitsmarktfortschreibung zufolge die einzelnen Komponenten im Schnitt der Jahre 2024 bis 2028 zur Veränderung der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Das wäre pro Jahr ein Zuwachs von 1,2 Prozent – in der letztjährigen Fortschreibung ging das IW noch von einem Anstieg um 1,6 Prozent aus. Maßgeblich für den abgeflachten Beschäftigungstrend sind unter anderem die zuletzt stärker als erwartet gestiegene Arbeitslosigkeit und die Tatsache, dass sich die Arbeitsmarktbeteiligung der Deutschen und der über 55-Jährigen generell langsamer erhöht als zuvor.

Bemerkbar in der Fortschreibung macht sich zudem, dass die Zuwandererzahlen zuletzt deutlicher als erwartet zurückgegangen sind. Dennoch:

Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte dürfte in den kommenden Jahren der größte Treiber der Beschäftigung bleiben und ist der einzige Faktor, der den negativen Einfluss der demografischen Entwicklung annähernd ausgleichen kann.

Letztere wirkt sich auf zweierlei Weise aus: Zum einen gehen mehr Menschen in Rente, als neu in den Arbeitsmarkt eintreten. Zum anderen rücken die geburtenstarken Jahrgänge – die Babyboomer – zunehmend in Altersgruppen vor, in denen die Arbeitsmarktbeteiligung geringer ist.

Die IW-Arbeitsmarktfortschreibung fächert die Beschäftigungsentwicklung auch detailliert nach Berufen auf. Einen guten Überblick bieten die Trends in den 36 Berufshauptgruppen. Die Streuung ist breit (Grafik):

Das größte absolute Plus wird es der Fortschreibung zufolge von 2023 bis 2028 mit rund 326.000 zusätzlichen Beschäftigten in den Erziehungs- und anderen sozialen und hauswirtschaftlichen Berufen geben.

Veränderung der Zahl der Beschäftigten in den am stärksten wachsenden beziehungsweise schrumpfenden Berufshauptgruppen von 2023 bis 2028 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Ein Zuwachs von annähernd 300.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist auch in den medizinischen Gesundheitsberufen, Berufen in der Unternehmensführung und -organisation sowie in den IT-Berufen zu erwarten. Der Beschäftigungsanstieg wird jedoch überall kleiner ausfallen als in der vorherigen Arbeitsmarktfortschreibung angenommen.

Am anderen Ende des Rankings stehen die Metallberufe – für diese Berufshauptgruppe lässt der Trend ein Minus von mehr als 160.000 Beschäftigten bis 2028 erwarten. Aber auch im Tourismus, der Kunststoff- und Holzbranche, im Papier- und Druckgewerbe sowie im Bereich Textil und Leder sinkt die Beschäftigtenzahl spürbar. Für die Industrie insgesamt geht die Fortschreibung von einem Beschäftigungsrückgang im Umfang von knapp 190.000 Stellen aus – das wäre ein Minus von 2,8 Prozent. Vor einem Jahr ließen die IW-Berechnungen noch auf eine Stagnation der Industriebeschäftigung schließen.

Ein Rückgang der Beschäftigtenzahl steht nicht im Widerspruch zu einem zunehmenden Fachkräftemangel

Um diese Beschäftigungstrends einordnen zu können, darf ein Aspekt nicht außer Acht gelassen werden: In vielen Branchen sehen sich die Unternehmen in Deutschland einem Fachkräftemangel gegenüber, der Einstellungen von qualifiziertem Personal erschwert oder gar verhindert. Daher steht ein Beschäftigungsrückgang nicht im Widerspruch zu einem zunehmenden Fachkräftemangel.

Zwar hat die schwache Konjunktur seit 2022 die Fachkräftelücke leicht schrumpfen lassen – auf knapp 600.000 rechnerisch nicht besetzbare offene Stellen im Jahr 2023. Vor allem die alternde Erwerbsbevölkerung wird aber aller Voraussicht nach dazu führen, dass sich das Problem wieder verschärft:

Der IW-Arbeitsmarktfortschreibung zufolge werden im Jahr 2028 rund 768.000 qualifizierte Arbeitskräfte fehlen.

Vor allem in Ostdeutschland dürfte die Zahl der vergeblich gesuchten beruflich ausgebildeten Fachkräfte drastisch steigen. Die Lücke bei Spezialisten und akademisch qualifizierten Experten wächst dagegen im Osten wie im Westen nahezu kontinuierlich weiter. Insgesamt wird es in vielen Berufen an qualifizierten Arbeitskräften mangeln (Grafik):

Im Jahr 2028 wird es allein im Verkauf gut 40.000 Fachkräfte zu wenig geben, um alle offenen Stellen besetzen zu können.

Differenz zwischen offenen Stellen und passend qualifizierten Arbeitslosen in den Berufen mit der größten Fachkräftelücke im Jahr 2028 Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Allerdings zählen die Verkaufsberufe mit fast 850.000 Beschäftigten auch zu einer der größten Berufsgattungen.

Fast ebenso groß ist die Fachkräftelücke in vielen Sozialberufen – so fehlen 2028 allein über 30.000 Spezialisten in der Kinderbetreuung –, in der IT und einigen Bauberufen. Auch in der Altenpflege, die oft als Paradebeispiel für das Fachkräfteproblem in Deutschland genannt wird, dürften dann immer noch knapp 11.000 Stellen für Fachkräfte unbesetzt bleiben. Die Lücke ist allerdings zuletzt deutlich kleiner geworden, was unter anderem auf die verbesserte Bezahlung zurückzuführen sein könnte.

Die Politik muss den Arbeitsmarkt zukunftsfest machen

Um vor dem Hintergrund dieser Zahlen den Fachkräftemangel generell zu lindern und den deutschen Arbeitsmarkt zukunftsfest zu machen, sollte die Politik die Anreize weiter erhöhen, dass ältere Erwerbstätige möglichst lange im Job bleiben. Durch eine bessere Berufsorientierung und mehr Beratungsangebote gilt es außerdem, mehr junge Menschen für eine Berufsausbildung zu begeistern. Nicht zuletzt braucht es weiterhin den Zuzug vieler qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland. Das novellierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz bietet dafür gute Voraussetzungen, jedoch benötigen die Unternehmen mehr Informationen und Unterstützung. Zudem müssen Visavergabe sowie die Anerkennung beruflicher Qualifikationen schneller erfolgen.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene