Der Informationsdienst
des Instituts der deutschen Wirtschaft

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Finanzpolitik Lesezeit 5 Min.

Deutschland muss Investitionen wagen

Sowohl der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt als auch die deutsche Schuldenbremse halten die Politik hierzulande zur Sparsamkeit an. Zugleich ist viel Geld vonnöten, um beispielsweise die Wirtschaft klimaneutral umzubauen. Eine IW-Simulation zeigt, dass höhere öffentliche Investitionen möglich wären, ohne die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen zu gefährden.

Kernaussagen in Kürze:
  • Der Bedarf an zukunftsorientierten Investitionen in Deutschland geht über das hinaus, was im Rahmen der Schuldenbremse und der europäischen Fiskalregeln möglich ist.
  • Der Staat sollte die dringend benötigten Investitionen trotzdem realisieren. Die langfristigen wirtschaftlichen Impulse wären deutlich und die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bliebe erhalten.
  • Je nachdem, ob der Staat innerhalb von zehn Jahren 150, 300 oder 600 Milliarden Euro zusätzlich investiert, würde das Bruttoinlandsprodukt am Ende zwischen 0,2 und 0,8 Prozent höher ausfallen als ohne diesen Impuls.
Zur detaillierten Fassung

Mit Geld vernünftig umzugehen, ist für jede Regierung eine Herausforderung – zu verlockend sind kurzfristige, schuldenfinanzierte Wohltaten zugunsten jener, die bei der nächsten Wahl für die nötigen Stimmen sorgen könnten. Dabei soll die Politik eigentlich auch die Bedürfnisse künftiger Generationen im Blick haben – die Staatsfinanzen müssen daher langfristig tragfähig sein.

Um dies zu gewährleisten, hat sich Deutschland gleich doppelt in die Pflicht genommen:

Stabilitäts- und Wachstumspakt. Als EU-Mitglied ist die Bundesrepublik an den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt gebunden. Dieser ist vor Kurzem reformiert worden und sieht vor, dass die nationalen Regierungen demnächst mit der EU-Kommission über konkrete Ausgabenpfade für die kommenden Jahre verhandeln.

Unter anderem sollen diese Pläne für jene Länder, deren Schuldenlast zwischen 60 und 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt, sicherstellen, dass diese Schuldenquote jährlich um 0,5 Prozentpunkte zurückgeht. Bei einer Quote von mehr als 90 Prozent des BIP schreibt der Pakt sogar eine Senkung um mindestens 1 Prozentpunkt vor.

Zuletzt lag die Staatsverschuldung in rund der Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten über dem laut Maastricht-Vertrag zulässigen Niveau von 60 Prozent des BIP (Grafik):

Die höchste Staatsschuldenquote innerhalb der EU wies 2023 Griechenland mit fast 162 Prozent auf, Deutschland überschritt mit knapp 64 Prozent die 60-Prozent-Marke nur knapp.

Schuldenstand und Haushaltssaldo im Jahr 2023 in Prozent des Bruttoinlandsprodukts Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Um die Schuldenquote zu senken, müssen die betroffenen Staaten wie Deutschland vor allem die sogenannten Nettoprimärausgaben im Zaum halten – das sind, grob gesprochen, die gesamten Staatsausgaben ohne Zinszahlungen sowie kurzfristige und auf Konjunkturschwankungen zurückzuführende Ausgaben. Auch Ausgaben für EU-Programme werden nicht angerechnet.

Schuldenbremse. Seit 2009 gilt in Deutschland zudem für Bund und Länder die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Diese begrenzt in wirtschaftlich normalen Zeiten die Nettokreditaufnahme des Bundes auf 0,35 Prozent des BIP, die der Länder sogar auf null. Damit soll in normalen Konjunkturphasen die Verschuldungsquote kontinuierlich sinken. Die strikten Finanzierungsvorgaben hat die Politik allerdings immer wieder umgangen, indem sie als zwingend erachtete Ausgaben über rechtlich selbstständige Sondervermögen getätigt hat – wie beispielsweise das Sondervermögen der Bundeswehr mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro.

Sollte der Staat die dringend benötigten Investitionen realisieren, wären die langfristigen wirtschaftlichen Impulse deutlich und die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bliebe trotzdem erhalten.

Ein Vergleich der europäischen Fiskalregeln mit der nationalen Schuldenbremse zeigt: Beide haben unterschiedliche Ansatzpunkte, verfolgen aber dasselbe Ziel – nämlich die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sicherzustellen. Die beiden Regelwerke haben allerdings noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie bieten wenig finanziellen Spielraum für Investitionen, die die langfristigen Wachstumsperspektiven Deutschlands verbessern. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sieht für solche Investitionen zwar eine Verlängerung der Anpassungsphase vor, in der die Staatsfinanzen zu konsolidieren sind. Dies gewährt jedoch keinen zusätzlichen Verschuldungsspielraum.

Investitionen dringend nötig – und tragbar

Fakt ist aber, dass der Bedarf an zukunftsorientierten Investitionen in Deutschland über das hinausgeht, was im Rahmen der Schuldenbremse und der europäischen Fiskalregeln möglich ist: Neben der Stärkung der Verteidigungsbereitschaft als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gilt es vor allem, die notwendige Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität zu ermöglichen und die lange vernachlässigte Infrastruktur auf Vordermann zu bringen. Das IW hat den gesamten Investitionsbedarf vor einiger Zeit auf rund 600 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren taxiert (siehe "Deutschland braucht Investitionen von 600 Milliarden Euro").

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob Investitionen in dieser Größenordnung zwangsläufig die deutschen Staatsfinanzen aus dem Ruder laufen lassen würden. Um darauf eine Antwort zu finden, hat das IW eine Modellsimulation erstellt, in der die Auswirkungen verschiedener Investitionsszenarien auf wirtschaftliche und finanzpolitische Indikatoren berechnet wurden. Die Ergebnisse (Grafik):

Je nachdem, ob der Staat innerhalb von zehn Jahren 150, 300 oder 600 Milliarden Euro zusätzlich investiert, würde das Bruttoinlandsprodukt am Ende zwischen 0,2 und 0,8 Prozent höher ausfallen als ohne diesen Impuls.

Das IW hat mit einer Modellsimulation berechnet, wie sich zusätzliche staatliche Investitionen auf zentrale wirtschaftliche Indikatoren auswirken würden Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Der private Verbrauch dürfte in ähnlicher Größenordnung wachsen, die privaten Investitionen würden sogar um bis zu 1 Prozent zulegen. Die öffentlichen Investitionen beleben die Konjunktur also nicht nur unmittelbar, sie setzen auch private Investitionsanreize, die die Wirtschaftskraft langfristig stärken. Das zeigt sich ebenso beim Blick auf das Produktionspotenzial, also die erreichbare gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung. Sie ist im 600-Milliarden-Euro-Szenario nach zehn Jahren um fast 1 Prozent höher als im Basisszenario ohne zusätzliche Investitionen.

Die so gestärkte Konsum- und Investitionskonjunktur würde dem Staat über Steuern und Abgaben binnen zehn Jahren bis zu 114 Milliarden Euro extra in die Kassen spülen. Das hat zur Folge, dass trotz der gewaltigen Investitionssummen keine tiefen Löcher in die öffentlichen Haushalte gerissen werden. So steigt das Haushaltsdefizit in Prozent des BIP selbst dann, wenn der Staat 600 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen finanziert, nach zehn Jahren lediglich um 1 Prozentpunkt.

Dementsprechend erhöht sich auch die Staatsverschuldung allenfalls moderat (Grafik):

Je nach zusätzlichem Investitionsvolumen dürfte die Staatsschuldenquote 2034 nur um gut 2 bis maximal knapp 9 Prozentpunkte über dem für das Basisszenario simulierten Niveau von gut 57 Prozent des BIP liegen.

Staatsschulden Deutschlands in Prozent des Bruttoinlandsprodukts gemäß einer IW-Simulation, in der sich die staatlichen Investitionen in den kommenden zehn Jahren so entwickeln Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Und selbst wenn der Staat 600 Milliarden Euro mehr in die Hand nimmt, liegt die Schuldenquote in zehn Jahren lediglich um etwas mehr als 2 Prozentpunkte über dem heutigen Wert von knapp 64 Prozent. In den beiden anderen Investitionsszenarien unterschreitet sie das aktuelle Niveau um 2 beziehungsweise gut 4 Prozentpunkte.

Welches Szenario auch immer realisiert würde – die langfristigen wirtschaftlichen Impulse wären deutlich und die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen bliebe erhalten. All dies spricht dafür, den Stabilitäts- und Wachstumspakt wie auch die deutsche Schuldenbremse flexibler zu gestalten, damit sie keine Barriere für Zukunftsinvestitionen bleiben.

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