Deutschland ist gerecht – aber nicht überall
In Deutschland geht es im Großen und Ganzen gerecht zu. Das unterstreicht der neue internationale Gerechtigkeitsindex, in dem die Bundesrepublik im vorderen Drittel landet. Allerdings ergeben sich aus den mittelmäßigen Ergebnissen einiger Teilbereiche klare Aufträge für die Politik.
- Im internationalen Gerechtigkeitsindex liegen die skandinavischen Länder an der Spitze, Deutschland belegt Platz 10.
- In den Kategorien Regelgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit schneidet die Bundesrepublik vergleichsweise schlecht ab.
- Weniger bürokratische Hürden für Unternehmen und Bürger sowie eine bessere Förderung von vernachlässigten Gruppen in Sachen Bildung würden Deutschland gerechter machen.
Was ist gerecht? Einfache Frage, schwierige Antwort. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat sich im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen dieser Aufgabe mit seinem internationalen Gerechtigkeitsindex gestellt. Die Forscher verwendeten für ihren Vergleich von 34 der 38 OECD-Staaten 43 Einzelindikatoren, die sie sechs Gerechtigkeitskategorien zuordneten (siehe Kasten unten). Die neuesten Daten lagen dabei flächendeckend für das Jahr 2022 vor. Besonders gerecht geht es demnach im Norden Europas zu (Grafik):
Skandinavien dominiert mit Norwegen, Schweden und Dänemark auf den ersten drei Plätzen den Gerechtigkeitsindex.
Mit Island und Finnland folgen zwei weitere Nordlichter. Deutschland erreicht im Ranking den zehnten Rang. Deutlich schlechter stehen unter anderem Japan (Platz 29) und die USA (Platz 30) da. Das abgeschlagene Schlusslicht des Rankings ist die Türkei.
Was auffällt: In zwei für die Bevölkerung wichtigen Dimensionen schneidet die Bundesrepublik verhältnismäßig gut ab. So erreicht Deutschland bei der Bedarfsgerechtigkeit – also der Frage, ob jeder erhält, was er zur Sicherung seiner Existenz benötigt – einen sechsten Platz. Die Verantwortung gegenüber künftigen Generationen (Rang 9) setzte Deutschland im Jahr 2022 durch eine im Vergleich zu anderen Ländern ambitionierte Klimapolitik und nachhaltige Finanzpolitik aufgrund des Schuldenabbaus effektiv um.
Für eine höhere Chancengerechtigkeit im Land ist Bildung der Schlüssel.
Deutlich schlechter schneidet die Bundesrepublik dagegen in den Kategorien Regelgerechtigkeit (Rang 14) sowie Chancengerechtigkeit (Rang 17) ab. Verbesserungen sind hier dringend nötig, denn für die deutsche Bevölkerung sind dies die wichtigsten Dimensionen (Grafik):
Die Menschen im Land halten es laut einer aktuellen IW-Befragung unter Gerechtigkeitsaspekten für besonders wichtig, dass für jeden die gleichen Regeln und Rechte gelten und Chancengleichheit für alle besteht.
Um Fortschritte in Sachen Regelgerechtigkeit zu machen, muss die Politik dafür sorgen, dass bürokratische Hürden abgebaut und der administrative Aufwand für Unternehmen und Bürger reduziert werden. Ein schlanker und effizienter Staat, der auf überflüssige Formulare und langwierige Genehmigungsverfahren verzichtet, stärkt die Effizienz der öffentlichen Verwaltung und schafft Vertrauen durch Planungssicherheit.
Für eine höhere Chancengerechtigkeit im Land ist Bildung der Schlüssel. Vor allem sollte die Regierung gezielt Gruppen fördern, die bislang vernachlässigt wurden. Dazu zählen Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien. Auch die frühkindliche Förderung von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund ist ein entscheidender Punkt für mehr Chancengleichheit und bessere Aufstiegsmöglichkeiten.
Die Gerechtigkeitsdimensionen
Aus wissenschaftlicher Perspektive lassen sich sechs Gerechtigkeitsdimensionen mit jeweils unterschiedlichen theoretischen Konzeptionen voneinander unterscheiden.
Bedarfsgerechtigkeit: Jeder erhält, was er zur Sicherung seines Bedarfs (Existenzminimum) benötigt.
Leistungsgerechtigkeit: Jeder erhält, was ihm entsprechend seiner individuellen Leistung zusteht.
Chancengerechtigkeit: Jeder hat zu Beginn die gleichen Ausgangsbedingungen für Teilhabe an Bildung, am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben.
Einkommensgerechtigkeit: Einkommen und Lasten sind gleichmäßig verteilt.
Regelgerechtigkeit: Gleiche Regeln und gleiches Recht für alle.
Generationengerechtigkeit: Jede Generation sorgt für eine ausgewogene Verteilung von Ressourcen, Rechten und Pflichten zwischen den verschiedenen Generationen.