Interview Lesezeit 5 Min.

„Dass es keine Limitierungen für Hilfen gibt, ist richtig“

Welche Hilfen braucht die deutsche Wirtschaft angesichts der Corona-Krise? Was sollte die EU-Kommission unternehmen, um die Folgen der Pandemie abzufedern? Und wie wird sich das Wirtschaftssystem verändern, wenn die Krise vorbei ist? Antworten darauf gibt IW-Direktor Michael Hüther im iwd-Interview.

Kernaussagen in Kürze:
  • IW-Direktor Michael Hüther hält die bisherigen Hilfen der Bundesregierung für Unternehmen für angemessen. Weitere Maßnahmen werden jedoch im Lauf der Corona-Krise unumgänglich sein.
  • Fraglich sei derzeit, wie schnell die Hilfen bei kleinen Unternehmen, Solo-Selbstständigen und Freiberuflern ankommen, da es hier keine erprobten Verteilungsverfahren gibt.
  • Hüther fordert auch ein starkes europäisches Signal. Eine Möglichkeit wäre eine unkomplizierte Refinanzierung der Mitgliedsstaaten über eine Krisenfazilität des ESM.
Zur detaillierten Fassung

Wir befinden uns noch ganz am Anfang einer gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung, deren Ausgang momentan niemand seriös einschätzen kann. Trotzdem würden wir gerne einen Blick in die Zukunft wagen: Welches wäre das denkbar beste Szenario?

Das beste Szenario ist, dass wir im Sommer in Deutschland wieder den Normalbetrieb erreichen und rückblickend nur im zweiten Quartal massive Produktionseinbrüche erlebt hätten. Das wäre mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen und die weltweite Arbeitsteilung ein Zeitraum, mit dem man zurechtkäme. Im Moment ist die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario aber nicht allzu hoch.

Und wie sieht das schlechteste Zukunftsszenario aus?

Wenn wir auch am Ende des Jahres noch kein Land sehen. Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Sie können eine Gesellschaft nicht über Monate aus dem öffentlichen Raum aussperren.

Werden die aktuell diskutierten und zum Teil bereits beschlossenen (Unternehmens-)Hilfen der Bundesregierung und -länder diesen Herausforderungen gerecht?

Grundsätzlich ja. Die Bundesregierung hat das Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen in unterschiedlicher Form angekündigt beziehungsweise bereits eingeführt. Sie wird aber mehr tun müssen und auch direkte – zum Teil nicht rückzahlbare – Hilfen in Aussicht stellen. Das wird noch in erheblichem Maß zunehmen, wenn man sieht, dass die Regierung allein für Solo-Selbstständige 40 Milliarden Euro bereitstellt. Denn auch Großunternehmen brauchen Liquiditätshilfen in beachtlichem Umfang.

Ein zusätzliches Problem in dieser Krise ist – anders als während anderer Krisen –, dass wir derzeit eine Konsumrezession haben. Und zwar nicht, weil die Menschen kein Geld ausgeben wollen, sondern weil sie nicht einkaufen gehen können.

Womit wir keine Erfahrungen haben, ist, wie man die vielen kleinen Unternehmen, die Solo-Selbstständigen und Freiberufler erreicht.

In der Finanzkrise stieg die Staatsschuldenquote in Deutschland auf 80 Prozent der Wirtschaftsleistung. Würde man heute genauso vorgehen wie damals, stünde fast 1 Billion Euro für Hilfsmaßnahmen zur Verfügung.

Man wird in Europa koordiniert über ähnliche Größenordnungen nachdenken müssen. Wir können derzeit nicht sagen, wie viel die Bewältigung der Corona-Krise am Ende wirklich kosten wird und wie viele Hilfen nicht zurückgezahlt werden können oder wo wir Stundungen benötigen. Die Aussage der Bundesregierung, dass für Hilfen keine Limitierungen vorgenommen werden sollen, ist richtig, weil die Größenordnung der Krise nicht abschätzbar ist.

Geld abrufen können und Geld erhalten sind zwei Paar Schuhe. Kommt die Hilfe schnell genug und unbürokratisch in der Wirtschaft an?

Michael Hüther ist Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft; Foto: IW Medien Beim Kurzarbeitergeld klappt das gut, denn es ist ein Instrument, das bereits erfolgreich in der Finanzkrise praktiziert wurde. Womit wir keine Erfahrungen haben, ist, wie man die vielen kleinen Unternehmen, die Solo-Selbstständigen und Freiberufler erreicht. Hier gibt es aktuell ein Problem mit der Administrierung. Während der Finanzkrise musste man nur wenigen Banken Finanzhilfen über die KfW zukommen lassen. Jetzt haben wir aber gar keine vergleichbaren Anknüpfungspunkte. Möglicherweise wären die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern geeignete Anlaufstellen für die Verteilung der Finanzhilfen für den Mittelstand und für die Kleinstunternehmen.

Kann man verhindern, dass Unternehmen an Hilfsgelder kommen, die sie gar nicht benötigen?

Das ist am Ende nicht das vorrangige Problem. Bei einem symmetrischen Schock, wie wir ihn gerade erleben, ist die Frage nach Mitnahmeeffekten nicht zentral, damit muss man leben.

Sie sind nah an den Unternehmen dran. Wie groß ist in den Betrieben selbst zurzeit der Glaube, dass die Corona-Krise bewältigt werden kann?

Dass sie bewältigt werden kann, glaubt jeder. Die Frage ist: Zu welchem Preis? Das kann im Augenblick niemand abschätzen. Selbst wenn bei uns die Wirtschaft wieder läuft, kann es sein, dass zum Beispiel die USA noch Probleme haben werden.

Das Signal der deutschen Politik, das da lautet „Whatever it takes“, ist daher richtig und wichtig.

Deutschland war immer stolz auf seine Exportstärke. Wird diese starke Abhängigkeit vom Ausland in der Corona-Krise zum gravierenden Problem?

Es würde uns auch nicht besser gehen, wenn wir nur Inlandsmärkte bespielen würden, denn die implodieren gerade auch. Wir befinden uns in einer Krise, die von beiden Seiten – der Angebotsseite und der Nachfrageseite – kommt.

Globale Vernetzung bietet auf der einen Seite ein Potenzial, weil man in unterschiedlich dynamischen Märkten unterschiedlich reagieren kann. Kritisch ist es dort, wo wir vielleicht zu naiv waren, weil die Lagerbestände gering gehalten wurden oder sich Unternehmen bei der Beschaffung einseitig aufgestellt haben.

Die Just-in-time-Produktion, die auf kontinuierlichen Nachschub aus der ganzen Welt angewiesen ist, ist nicht für alle Branchen sinnvoll, das zeigt die Corona-Krise deutlich.

Wenn andere EU-Mitgliedsstaaten durch Corona wirtschaftlich kollabieren sollten, trifft das auch Deutschland. Was wird die Rettung der Nachbarn Deutschland kosten?

Das ist keine Rechnung, die wir allein zu bezahlen haben, sondern eine europäische. Deshalb ist es wichtig, dass Europa zusätzlich zu den nationalen Maßnahmen aktiv wird. Die EU ist in der Corona-Krise derzeit nicht sehr präsent. Natürlich herrscht gerade überall ein Ausnahmezustand. Dennoch muss jetzt auch europäisch gehandelt werden. In dieser Krise geht es nicht um strukturelle Reformen der einzelnen EU-Länder, sondern um Leben und Tod. Was die EU jetzt leisten muss, ist ein solidarisches Handeln, eine starke europäische Antwort auf den Umgang mit der Corona-Epidemie – und zwar schnell.

Was verstehen Sie darunter genau?

Zum Beispiel, dass man den ESM beauftragt, eine Krisenfazilität von 1 Billion Euro bereitzustellen, die den Mitgliedsstaaten schnell und unkompliziert eine Refinanzierung ermöglicht. Damit macht man auch deutlich, dass man den Märkten keine Wetten gegen Länder gestattet.

Inwiefern wird sich die deutsche Wirtschaft langfristig durch die Corona-Krise verändern?

Künftig werden sicherlich Lagerbestände, Lieferketten und Beschaffungssysteme neu bewertet werden. Die Just-in-time-Produktion, die auf kontinuierlichen Nachschub aus der ganzen Welt angewiesen ist, ist nicht für alle Branchen sinnvoll, das zeigt die Corona-Krise deutlich.

Gleichzeitig werden wir einen Schub der Digitalisierung erleben. Wir sehen gerade, dass Deutschland auch im Bildungssystem in der Lage ist, geschlossene Klassenzimmer und Hörsäle durch Online-Angebote zu ersetzen. Das wird nachhaltig wirken, davon bin ich fest überzeugt.

Das könnte Sie auch interessieren

Meistgelesene