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Brückenbau in Deutschland: Die Zeit drängt

Über Deutschlands marode Brücken wurde schon viel diskutiert. Die Katastrophe von Genua rückt das Thema auf traurige Weise noch einmal stärker in den Fokus. Doch auch wenn hierzulande nach menschlichem Ermessen kein vergleichbares Unglück droht, ist die Lage ernst. Eine Bestandsaufnahme – und ein Lösungsvorschlag.

Kernaussagen in Kürze:
  • Ein Brückenunglück wie in Genua droht nach menschlichem Ermessen in Deutschland nicht, weil hiesige Brücken sehr engmaschig kontrolliert werden.
  • Allerdings sind viele Brücken an Fernstraßen so marode, dass der Verkehr bereits eingeschränkt werden muss und Sperrungen drohen.
  • Der Sanierungsstau ist wegen der Kapazitätsengpässe in der Bauindustrie und in den Bauämtern kurzfristig kaum zu beheben, deshalb wäre es umso wichtiger, zumindest die Planung durch erleichterte gesetzliche Vorgaben zu beschleunigen.
Zur detaillierten Fassung

Nach dem Einsturz der Autobahnbrücke in Genua, bei dem nach aktuellem Stand mindestens 40 Menschen ums Leben gekommen sind, fragen sich viele Bundesbürger: Ist so etwas auch in Deutschland möglich?

Die gute Nachricht: Auch wenn niemand ein solches Unglück vollkommen ausschließen kann, ist es doch extrem unwahrscheinlich, denn in Deutschland finden engmaschige Kontrollen statt.

Die rund 39.500 Brücken an Bundesfernstraßen werden alle sechs Jahre einer sogenannten Hauptprüfung durch spezielle Prüfingenieure unterzogen.

Zwischen zwei Hauptprüfungen gibt es zum einen eine weitere „einfache Prüfung“ in reduziertem Umfang. Zum anderen kontrollieren auch die zuständigen Straßen- und Autobahnmeistereien einmal pro Jahr, augenscheinliche Schäden werden sogar zweimal begutachtet. Nach der Prüfung bekommt jedes Bauwerk eine Zustandsnote, die vor allem zum Ausdruck bringen soll, wie dringend die Sanierung ist.

Die schlechte Nachricht ist, dass Deutschlands Brücken dabei kein gutes Bild abgeben (Grafik):

Ein Achtel der hiesigen Brückenfläche ist in nicht ausreichendem oder sogar ungenügendem Zustand. Baulicher Zustand der Brücken an Bundesfernstraßen Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Die Note „nicht ausreichend“ bedeutet, dass Instandsetzungsmaßnahmen am betroffenen Bauwerk anstehen – nicht aber, dass es einsturzgefährdet ist. Bei der Note „ungenügend“ kann dies zwar der Fall sein, sie wird jedoch auch vergeben, wenn sehr viele kleinere Schäden zusammenkommen oder eine Brücke nicht mehr verkehrssicher ist – und das ist sie zum Beispiel auch dann nicht, wenn das Geländer beschädigt ist.

Sollten Verkehrsteilnehmer gefährdet sein, betont die zuständige Bundesanstalt für Straßenwesen, würden sofort Maßnahmen eingeleitet: Das kann entweder eine Beseitigung der Schäden sein oder – was immer häufiger vorkommt – eine Beschränkung des Verkehrs auf der Brücke, um ihr Sicherheitsniveau zu erhöhen. Bekannte Problemfälle wie die Leverkusener Brücke werden zudem permanent durch Mitarbeiter der Straßenbaubehörden überwacht.

Nordrhein-Westfalen hat das größte Brückenproblem

Dass vor der Reparatur oder dem Neubau meist die (Teil-)Sperrung kommt, plagt derzeit insbesondere den Güterverkehr in Nordrhein-Westfalen – und alle Autofahrer, die wegen der Engpässe im Stau stehen. Schließlich ist entlang des Rheins nicht nur eine Flussquerung baufällig: Auf der inzwischen berühmt-berüchtigten Leverkusener Rheinbrücke dürfen überhaupt keine Lkws über 3,5 Tonnen mehr fahren. Auf der Fleher Brücke in Düsseldorf sind nur vier von sechs Spuren nutzbar.

Gleiches gilt für die Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp, die mit dem Leverkusener Exemplar fast baugleich ist. Ihre Nutzung muss immer weiter eingeschränkt werden. Doch mit der Eröffnung der neue Brücke ist erst 2023 zu rechnen – so lange muss das gute alte Stück noch durchhalten.

Hinzu kommt: Die Instandhaltung der alten Brücken, die parallel zum Neubau nötig ist, verschlingt jede Menge zusätzliches Geld: Für Leverkusen sind knapp 33 Millionen Euro pro Jahr angesetzt und für Duisburg 14 Millionen Euro. Wenigstens die Düsseldorfer Brücke soll mit einem Sanierungsaufwand von satten 38 Millionen Euro noch zu retten sein.

Ein klein wenig weiter ist man inzwischen flussaufwärts in Hessen: Die schlagzeilenträchtige Schiersteiner Brücke zwischen Wiesbaden und Mainz war seit 2006 nur noch eingeschränkt zu nutzen und musste nach einer Fahrbahnabsenkung 2015 vorübergehend ganz gesperrt werden. Seit Ende 2017 ist zumindest die erste Hälfte des gut 215 Millionen Euro teuren Neubaus für den Verkehr freigegeben.

Warum gerade jetzt so viele Brücken saniert werden müssen

All diese Beispiele zeigen, dass Deutschland nach menschlichem Ermessen zwar kein lebensbedrohliches, aber doch riesiges Problem mit seinen Brücken hat. Die Ursachen dafür sind vielfältig:

Die Brücken sind alt. Gut 60 Prozent der Autobahnbrücken stammen aus der Zeit vor 1990, das Gros gar aus den 1960er und 1970er Jahren (Grafik). Dass jetzt so viele Bauwerke gleichzeitig schlappmachen, hat auch damit zu tun, dass sie alle zu einer ähnlichen Zeit in derselben Bauweise und aus demselben Material errichtet wurden: Von Schäden betroffen sind daher neben den Rheinbrücken in erster Linie die großen Talbrücken in den westdeutschen Bundesländern. Baujahre Download: Grafik (JPG) herunterladen Grafik (EPS) herunterladen Tabelle (XLSX) herunterladen

Der Schwerlastverkehr hat extrem zugenommen. Der Verkehrsbericht der Bundesregierung identifiziert die Hauptverursacher der Brückenschäden: Dazu gehören die weit über früheren Prognosen liegende Zunahme des Güterverkehrs und der Sondertransporte sowie häufige Überladungen.

Schon in Westdeutschland wurden 1990 rund 34 Prozent mehr Tonnage über die Straßen bewegt als 1970. Nach der Wende legte der gesamtdeutsche Straßengüterverkehr noch einmal um 22 Prozent auf 3,6 Milliarden Tonnen Fracht im Jahr 2017 zu.

Dass etwa die Leverkusener Brücke ursprünglich für sehr viel geringere Verkehrsmengen geplant wurde und deshalb später ihre Standstreifen freigegeben wurden, hat die Statik zusätzlich belastet.

Nötige Sanierungsarbeiten wurden wegen Geldmangels jahrzehntelang aufgeschoben. Schon seit die vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder einberufene Pällmann-Kommission zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung im Jahr 2000 ihren Bericht vorgelegt hat, ist klar, dass es vor allem im Straßenbau eine Investitionslücke gibt. Allein: Es fehlte an Geld. Und so wurden die nötigen Investitionen immer weiter aufgeschoben, in der Hoffnung es werde schon noch eine Weile gut gehen. Das Ende vom Lied ist jedoch, dass viele Brücken nun gar nicht mehr reparabel sind, sondern ersetzt werden müssen.

Weil ihre Sanierung so lange aufgeschoben wurde, sind viele Brücken inzwischen nicht mehr reparabel, sondern müssen neu gebaut werden.

Inzwischen ist das Fernstraßenbudget zwar kräftig aufgestockt worden, und liegt heute sogar über jenen 7 Milliarden Euro pro Jahr, die die Bedarfsschätzung 2012 ergeben hatte. Üppig bemessen ist dies jedoch nicht, denn die Baupreise haben seitdem kräftig angezogen. Und das kommt nicht von ungefähr, denn:

Die Bauindustrie ist ausgelastet. Es ist inzwischen kaum noch möglich, den Bundesfernstraßenetat überhaupt auszugeben, weil die Baufirmen aufgrund des allgemeinen Baubooms an der Kapazitätsgrenze sind. Dadurch verlängern sich auch die Bauzeiten – und die daraus resultierenden Verkehrsprobleme. Dass sich die Kapazitäten nicht so einfach ausweiten lassen, hat vor allem personelle Gründe.

Es fehlt an Ingenieuren in Industrie und öffentlicher Verwaltung. Auch wenn es vor zwanzig Jahren noch undenkbar schien: Der Markt für Bauingenieure ist leer gefegt. Dies bekommt nicht nur die Industrie zu spüren. Mit der Brückensanierung geht es auch deshalb nicht voran, weil es in den Bauämtern an Planungsingenieuren mangelt. Gerade im Brückenbau ist Planung eine wahre Herkulesaufgabe. Brücken sind immer ein Nadelöhr – deshalb bedarf es Umgehungen oder Ersatzstrecken, das Timing der Teilfertigstellungen muss stimmen und der Bau selbst ist oft hochkomplex.

Schätzungen zufolge entfallen im Fernstraßenbau 18 bis 20 Prozent der gesamten Projektkosten auf die Planung.

Geld ist mittlerweile genug da, aber die Kapazitätsprobleme, insbesondere der Ingenieurmangel, lassen sich nicht kurzfristig beheben. Welche Hebel bleiben der Politik da noch, um drohende Brückensperrungen und damit den endgültigen Verkehrsinfarkt zu verhindern?

Die Planung muss schneller gehen

Ein Ansatzpunkt, der noch übrig ist, ist die Verkürzung der Planungszeiten. Denn diese belaufen sich oft auf bis zu zehn Jahre. Von daher ist das im Juli beschlossene Gesetz zur Beschleunigung von Planungsprozessen der richtige Schritt. Es erlaubt beispielsweise, mit bauvorbereitenden Maßnahmen wie der Umlegung von Gas- und Wasserleitungen auch schon vor Abschluss etwaiger Gerichtsverfahren zu beginnen. Zudem werden eben diese Gerichtsverfahren, bei denen es vor allem um die Klagen von Umweltverbänden geht, dadurch verkürzt, dass sämtliche Beweismittel innerhalb von zehn Wochen beigebracht werden müssen.

Ein elementarer Punkt fehlt jedoch im Gesetzentwurf: Ersatzbauten für vorhandene Brücken müssen weiterhin wie ein Neubau behandelt werden. Das heißt: Sie müssen das komplette Planfeststellungsverfahren mit allen Umweltprüfungen, Anhörungen und Klagemöglichkeiten durchlaufen, obwohl es ein ähnliches Bauwerk an ähnlicher Stelle bereits gibt. Hier sollte der Gesetzgeber dringend nachbessern – und zwar nicht nur, um die Gefahren zu bannen, die marode Brücken bergen, sondern auch, um Schaden von der deutschen Wirtschaft abzuwenden (siehe iwd.de „Infrastrukturmängel in Deutschland belasten Unternehmen“).

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