Brexit – Wie geht es weiter?
Es ist vollbracht – ab dem 1. Februar 2020 gehört das Vereinigte Königreich nicht mehr zur EU. Nun starten die Verhandlungen über das künftige Verhältnis. Und diese könnten ähnlich schwierig werden wie zuvor schon die Austrittsverhandlungen. Denn die britische Regierung möchte schon Ende 2020 raus aus der Übergangsphase. Die EU muss deswegen ihre Verhandlungsstrategie anpassen.
- Wenn es nach den Briten geht, sollen die Verhandlungen über die künftigen britisch-europäischen Beziehungen bereits im Dezember 2020 beendet sein.
- In diesem kurzen Zeitraum ist höchstens ein Minimalabkommen zum Warenhandel möglich, das einen gegenseitigen Verzicht auf Zölle und Quoten festschreibt.
- Großbritannien benötigt jedoch für viele Bereiche den Zugang zum EU-Binnenmarkt – was den Europäern einen klaren Verhandlungsvorteil verschafft.
Wenn die Briten am 31. Januar um Mitternacht die Gemeinschaft verlassen, ändert sich an den Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU erst mal nichts, es beginnt vielmehr die Übergangsphase für Verhandlungen.
Wenn es nach den Briten geht, soll diese allerdings bereits im Dezember 2020 beendet sein. Eine Verlängerung hat Boris Johnson kategorisch ausgeschlossen – und dies sogar gesetzlich festschreiben lassen. Damit setzt er die EU unter Druck. Denn unterm Strich bleiben so nur noch elf Monate für ein Abkommen über die zukünftigen Beziehungen. Das reicht nicht für einen umfassenden und ehrgeizigen Vertrag – schon deshalb, weil ein solcher von allen nationalen Parlamenten der 27 EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss.
Beide Seiten könnten sich in dem kurzen Zeitraum also höchstens auf ein Minimalabkommen einigen – mit null Zöllen und null Quoten im Warenhandel sowie der ein oder anderen kleineren Ergänzung. Damit gäbe es aber nur ein Grundgerüst, das zwangsläufig weitere Verhandlungen über ein umfassendes Freihandelsabkommen nach sich ziehen würde.
Die EU fordert faire Wettbewerbsbedingungen
Ein Knackpunkt in den kommenden Verhandlungen wird auch die künftige Bindung der Briten an die herrschenden EU-Richtlinien sein. Die Europäer legen viel Wert darauf, dass sich die Briten weiterhin an wichtige EU-Regeln halten. Denn das Vereinigte Königreich könnte durch niedrigere Arbeits-, Sozial- oder Umweltstandards – getreu dem Motto „we want to take back control“ – ein starker Konkurrent in Sachen Produktionskosten werden.
Je mehr Binnenmarktzugang die Briten haben wollen, desto eher werden sie sich auf die Forderungen der EU einlassen müssen.
Die EU hat für die Verhandlungen eine gute Ausgangsposition. Denn auch die Europäer können Druck auf die britische Regierung ausüben. Schließlich steht eine Union von 27 Staaten mit einem gemeinsamen Markt und einer Bevölkerung von rund 450 Millionen einem Vereinigten Königreich mit rund 66 Millionen Menschen gegenüber. Entsprechend sind die EU-Staaten für britische Exporteure von enormer Bedeutung (Grafik).
Während die EU-Länder knapp 7 Prozent ihrer Waren und Dienstleistungen in Großbritannien absetzen, geht fast die Hälfte aller britischen Exporte in den EU-Binnenmarkt.
Boris Johnson wird sich überlegen müssen, was ihm der Verzicht auf die EU-Regeln wert ist. Denn je mehr Zugang zum Binnenmarkt er haben will, desto eher werden sich die Briten auf Forderungen der EU einlassen müssen. Neben dem Warenhandel, bei dem die Europäer einen Überschuss erzielen, gibt es eine ganze Fülle an britisch-europäischen Beziehungen, die neu geregelt werden müssen. Dazu gehören die Bereiche Transport, Verkehr, Energie und Fischerei sowie die Außen- und Sicherheitspolitik. Wenn es in diesen Bereichen um den Marktzugang geht, kann die EU also ihr großes Gewicht in die Waagschale werfen.
Ein sehr wichtiger Bereich ist für Großbritannien der Dienstleistungssektor, der rund 80 Prozent seiner Wirtschaftsleistung ausmacht.
Dazu gehören auch Finanzdienstleistungen wie Investmentbanking oder Währungsabsicherungen mit Termingeschäften, bei denen das Vereinigte Königreich regelmäßig Handelsüberschüsse erzielt.
Für diesen Sektor ist der Zugang Großbritanniens zum EU-Markt enorm wichtig – was den Europäern einen weiteren klaren Verhandlungsvorteil verschafft. Mit diesem Hebel hat die EU demnach gute Chancen, die Briten an faire Wettbewerbsbedingungen zu binden.
Keine Einzelverträge à la Schweiz
Diese Themen sollte Brüssel in die zweite Verhandlungsphase nach 2020 verlagern und dabei auf ein umfassendes zweites Teilabkommen drängen, um bilaterale Einzelverträge à la Schweiz zu vermeiden. Zur Erinnerung: Im Jahr 1972 hatten die EU und die Eidgenossen nur ein Freihandelsabkommen für Industrieerzeugnisse abgeschlossen – später kamen rund 120 weitere Einzelabkommen dazu.
EU muss Stärke und Einheit demonstrieren
Der Erfolg der EU-Verhandlungstaktik gegenüber Großbritannien setzt voraus, dass die Gemeinschaft ihre Stärke geschickt ausspielt. Zudem müssen die verbleibenden EU-Staaten ihre einheitliche Position beibehalten und sich nicht aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen spalten lassen.
Das aber ist keineswegs sicher: Schon in den Verhandlungen über den Zugang zu den britischen Fischgründen haben die Nordsee-Anrainer der EU andere Interessen vertreten als die Mitgliedsstaaten ohne Seegrenze zum Vereinigten Königreich.